Bundesweit protestieren Hebammen gegen neue Vergütungsregeln. Freiberufliche fürchten Einbußen von bis zu 30 Prozent. Einige denken darüber nach, aufzuhören, andere haben es schon getan. Was ist dran an den Vorwürfen – und was heißt das für werdende Eltern?
Maike Groß-Heitfeld ist seit mehr als 20 Jahren Hebamme. Sie arbeitet als sogenannte Beleghebamme – also freiberuflich in einer Klinik, ohne feste Anstellung. Wenn sie über ihren Beruf spricht, spürt man ihre Leidenschaft, Frauen während der Geburt zu begleiten und Familien beim Start ins Leben zu unterstützen.
Doch seit dem 1. November gilt ein neuer Hebammenhilfevertrag – und der sorgt bei vielen eher für Frust statt für Freude.
"Da hat man das Gefühl, man brennt für etwas, wo man jetzt verheizt wird und wo hinterher Kolleginnen ausbrennen."
Für sie und ihre Kolleginnen bedeutet die neue Regelung: weniger Geld für mehr Arbeit. Bisher bekamen Beleghebammen eine Pauschale pro Geburt. Jetzt wird minutengenau abgerechnet – und wer mehrere Geburten gleichzeitig betreut, erhält insgesamt weniger.
"Die erste Frau wird nur noch mit 80 Prozent vergütet, für jede weitere bekomme ich 30 Prozent. Wenn ich zwei Frauen betreue, bin ich dann gerade mal bei 110 Prozent."
In der Realität betreuen viele Hebammen oft zwei oder drei Frauen gleichzeitig, besonders in größeren Kliniken mit Personalmangel.
30 bis 50 Prozent weniger Einkommen
Entsprechend spürbar seien die finanziellen Einbußen, erzählt Maike. Sie und ihre Kolleginnen hätten ihre letzten Dienste durchgerechnet – das Ergebnis: zwischen 30 und 50 Prozent weniger Einkommen.
Dabei soll die neue Vergütung eigentlich ein Ziel fördern, das vom Prinzip her quasi alle Beteiligten unterstützen: die Eins-zu-eins-Betreuung, also eine Hebamme für eine Gebärende. Doch dafür fehlt vielerorts das Personal.
"Natürlich wäre das der Idealfall – aber es gibt in keiner Klinik genug Hebammen, um das umzusetzen."
Drei Kolleginnen in ihrer Klinik haben bereits gekündigt. Eine Kollegin geht eher in Rente, zwei kommen aus der Elternzeit nicht zurück.
Dadurch verteilt sich die Arbeit auf immer weniger Schultern. Freizeit und Erholung blieben auf der Strecke, erzählt Maike. Sie selbst denkt über Alternativen nach – auch wenn sie sich keine vorstellen kann.
"In meinem Herz gibt es eigentlich keine Alternative für Geburtshilfe."
Der Goldstandard – aber schwer umzusetzen
Auch Nicola Bauer, Professorin für Hebammenwissenschaft an der Universität zu Köln, sieht die neue Regelung kritisch. Grundsätzlich sei das Ziel der Eins-zu-eins-Betreuung richtig, betont sie.
"Das ist der Goldstandard. Aber der Weg, wie versucht wird, das umzusetzen, ist fragwürdig."
Sie erklärt, dass der Vertrag bei Beleghebammen Anreize schaffen soll, Kolleginnen hinzuzuziehen, wenn mehrere Geburten gleichzeitig stattfinden. Doch in strukturschwachen Regionen sei das kaum möglich, weil schlicht zu wenige Hebammen verfügbar seien.
"In einer Gegend mit wenigen Hebammen kann eine Kollegin gar nicht dazukommen – und die, die zwei Frauen betreut, bekommt dann trotzdem weniger Geld."
Damit entstehe ein System, das an der Realität vorbeigeht. In vielen Kreißsälen gebe es nach wie vor Personalmangel, egal ob bei angestellten oder freiberuflichen Hebammen.
Zwar seien in den vergangenen Jahren mehr Stellen geschaffen worden, aber eine echte Eins-zu-eins-Betreuung könne oft nicht gewährleistet werden.
Zwischen Ideal und Alltag
Nicola Bauer betont, dass Hebammen heute unter starkem Druck arbeiten. Neben der eigentlichen Geburtsbegleitung müssten sie immer mehr administrative Aufgaben übernehmen – Dokumentation, Bestellungen oder organisatorische Tätigkeiten.
"Viele Hebammen können sich gar nicht mehr auf ihre originäre Arbeit konzentrieren – sie haben einfach zu viele Zusatzaufgaben."
Um eine echte Verbesserung zu erreichen, müsse das System insgesamt reformiert werden, meint sie. Dazu gehöre die Entlastung durch andere Berufsgruppen im Kreißsaal, etwa medizinische Fachangestellte, sowie eine realistische Personalplanung. Nur so könne eine hochwertige Betreuung gesichert werden.
Blick nach vorn
Die Krankenkassen betonen zwar, die Vergütung im Kreißsaal sei verbessert worden – mit dem Ziel, die Eins-zu-eins-Betreuung zu fördern. Doch Maike Groß-Heitfeld sieht das anders: Für sie ist der neue Vertrag ein Rückschritt, der viele Kolleginnen zum Aufhören bewege.
"Man kann nicht einer Berufsgruppe, die 24 Stunden am Tag Geburtshilfe sichert, weniger Geld zahlen und hoffen, dass alles weiterläuft."
Sie fordert, dass sich die Politik stärker einmischt. Sollte sich nichts ändern, warnt sie, könnten Hebammen in Zukunft überlastet sein und Kliniken an ihre Kapazitätsgrenzen kommen.
In strukturschwachen Regionen drohe dann, dass Frauen weite Wege in Kauf nehmen müssten, um überhaupt betreut zu werden.
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