Kurz beim Arzt anrufen – klingt easy. Für Simge ist es das nicht. Sie hat Angst vorm Telefonieren und damit ist sie nicht allein. Ängste vor Alltagssituationen gibt es zurzeit oft, sagt eine Psychotherapeutin. Warum und wie wir damit umgehen.
Simge wählt eine Nummer und dann geht es schon los: Der Puls steigt, sie wird angespannt, Panik bricht aus. Diese Angst vorm Telefonieren begleitet Simge schon lange. Sie weiß, dass diese Angst unbegründet ist, kann sie aber trotzdem nicht einfach abstellen.
Wenn sie zum Beispiel bei einer Behörde anrufen muss, dann ist es für Simge besonders schwierig, dass sie die Person am anderen Ende der Leitung nicht sieht: "Was ich schwierig finde, ist, dass ich die Gestik oder Mimik der Leute gar nicht einschätzen kann, nicht sehen kann. Und das macht es für mich noch ein bisschen ungewisser – und dadurch entsteht die Panik bei mir."
Was denken die anderen über mich?
Es gab Zeiten, da hat Simge sich für ihre Angst verurteilt. Manchmal ist das auch heute noch so. Nach dem Motto: Ich bin Mitte 20 und kriege das immer noch nicht hin. Inzwischen weiß sie, dass solche Situationen eigentlich nicht angsteinflößend sind – ihr Körper aber trotzdem darauf reagiert.
Neben dem Telefonieren hat Simge auch in anderen Alltagssituationen Angst: Beim Einkaufen etwa sorgt sie sich, ob sie die PIN ihrer Karte noch im Kopf hat.
"Wenn ich mit Karte bezahle, kontrolliere ich vorher fünfmal, ob es der richtige Pin ist, damit ich mich nicht blamiere."
Wenn Simge das Haus verlässt, überprüft sie mehrmals, ob sie ihre wichtigsten Dinge dabeihat und die Tür richtig abgeschlossen ist. Sie leidet außerdem unter Prüfungsangst – zum Beispiel, wenn sie vor mehreren Menschen etwas vortragen soll. Dabei schwingt immer die Sorge mit: Was denken die anderen über mich? Und blamiere ich mich vielleicht?
Ob das schon immer so war oder sich erst im Laufe der Jahre entwickelt hat, kann Simge nicht genau sagen. Sie weiß aber, dass sie schon immer sehr vorsichtig war – auch als Kind. Bestimmte Erfahrungen haben sie geprägt, erzählt Simge: "Meine Eltern wollten immer, dass ich eher vorsichtig bin bei bestimmten Dingen, sodass ich da vielleicht auch nicht so diesen Mut entwickelt habe."
Akzeptanz für Alltagsängste fehlt
Für Simge sind diese alltäglichen Situationen, in denen sie Ängste empfindet, nach wie vor sehr belastend. Erschwerend kommt hinzu, dass Leute in ihrem Umfeld, ihre Ängste nicht richtig ernst nehmen oder herunterspielen.
Sind Alltagsängste ein Problem der Gen Z?
Die Corona-Pandemie hat bei vielen jungen Menschen Spuren hinterlassen, sagen Fachleute – auch, weil es weniger soziale Interaktionen gab. Trotzdem habe die Generation Z nicht weniger soziale Kompetenz, sondern vielmehr eine andere, erklärt der Sozialforscher Kilian Hampel.
Gen Z hoch routiniert in der digitalen Welt
Eine große Stärke sieht er in der digitalen Kommunikation – hier sei die Gen Z hoch routiniert. "Die digitale Welt, in der sie aufgewachsen ist, spiegelt sich da wirklich wider. Also, dass man ganz schnell an Informationen herankommt. Gleichzeitig glaube ich schon, analoge Routinen – also nicht das Digitale zu verwenden – erzeugen schon manchmal Unsicherheit", so der Sozialforscher. Ein Beispiel dafür: das Telefonieren.
Kilian Hampel findet jedoch nicht, dass die Gen Z mehr Unsicherheiten oder Ängste hat – sondern dass sie offener darüber spricht. Und das, so sagt er, sei wichtig, um besser damit umgehen zu können.
"Es ist auch ein Selbstschutz, dass man darüber spricht – auch auf Social Media. Dass man Wege teilt, wie man solche kleinen oder auch größeren bewältigen kann."
Auch Simge versucht, sich ihren Ängsten zu stellen. Sie spricht viel darüber in den sozialen Medien und macht – wie sie es nennt – "Konfrontationstherapie". Das heißt: Sie geht Dinge bewusst an und versucht, sich selbst gut zuzusprechen, dass sie Situationen bewältigen kann. Geholfen hat ihr dabei auch ein Auslandssemester: Sechs Monate lang war sie in Italien – und danach fiel es ihr deutlich leichter, fremde Menschen anzusprechen.
Simge sagt selbst, dass sie noch einen langen Weg vor sich hat, aber schon jetzt stolz auf sich ist, denn Ängste, die sie noch vor ein paar Jahren hatte, sind inzwischen längst nicht mehr so stark wie damals.
Unterschied zwischen Alltagsängsten und Angststörung
Angst vor Smalltalk, Angst vor Menschenmassen oder die Sorge, in irgendeiner Weise als komisch wahrgenommen zu werden – solche Ängste gibt es momentan wirklich oft, sagt Psychotherapeutin Ulrike Schneider-Schmid. "Es gab im Jahr 2020 einen deutlichen Anstieg an Diagnosen von Angststörungen. Also in Krisenzeiten spüren wir mehr Angst, was sich dann auch in mehr Alltagsängsten niederschlägt."
"Wenn die Zeiten unsicher sind, werden wir ängstlicher."
Sie betont aber auch, dass sich Ängste wieder legen kann: "Wenn wir wieder in einem sicheren Umfeld leben, wo nicht jeden Tag wieder die nächste Kriegsbedrohung in den Nachrichten kommt, dann wird es auch sich wieder beruhigen."
Wichtig zu wissen: Angst ist nicht gleich Angststörung. Jeder Mensch hat Ängste. Problematisch wird es allerdings, wenn Personen sehr darunter leiden und ihr Alltag stark eingeschränkt ist. Dann kann professionelle Hilfe nötig sein. Ulrike Schneider-Schmid gibt auch Tipps, wie wir Ängste aus eigener Kraft in den Griff bekommen können:
- bewusst atmen
- ausreichend Schlaf
- regelmäßige Bewegung
- überschaubarer Kaffeekonsum
- Achtsamkeitsübungen
- mit anderen über Alltagsängste sprechen
Redaktioneller Hinweis: Auf dem Bild oben ist nicht Simge zu sehen.
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