In Hamburg ist der Wildtyp des Poliovirus' nachgewiesen worden – Abwasseranalyse sei Dank. Unmittelbar ist das wohl ungefährlich. Doch die Impfquote könnte trotzdem höher sein. In Deutschland und weltweit. Ein kleiner Überblick.
In Abwasserproben aus Hamburg ist der Wildtyp des Poliovirus' nachgewiesen worden – erstmals seit Beginn der systematischen Abwasserüberwachung im Jahr 2021 in Deutschland. Das hat das Robert Koch-Institut bekanntgegeben. Es handelt sich demnach um das hochansteckende Wild-Poliovirus Typ 1 – kurz WPV1 – teilte Bundesinstitut mit. Der letzte Nachweis einer Polio-Erkrankung dieses Typs in Deutschland war im Jahr 1992.
Aufgehaltene Polio-Ausrottung
Infektionen bei Menschen seien bislang nicht gemeldet worden. Der Fund gilt als Rückschlag für die weltweiten Bemühungen, die auch als Kinderlähmung bekannte Krankheit auszurotten. Polio-Wildviren kommen laut des Robert Koch-Instituts nur noch in Afghanistan und Pakistan vor.
Poliomyelitis, auch Kinderlähmung genannt, ist eine hochansteckende Viruserkrankung, die früher jedes Jahr Zehntausende Kinder lähmte. Sie verläuft oft ohne Symptome, kann aber im schlimmsten Fall zu dauerhafter Lähmung oder zum Tod führen.
"Es sind zum ersten Mal seit langem wilde Polio-Viren gefunden worden, die nicht aus Impfstoffen stammen."
Das Institut hält das Risiko einer Ansteckung für jegliche Form von Polio jedoch weiterhin für sehr gering. Als Grund nannte die Bundesbehörde die hohe Impfquote in Deutschland. Zudem handele es sich bei dem Nachweis im Abwasser um einen Einzelfund.
80 Prozent sind noch zu wenig
Die Probe in Hamburg kann laut des Instituts genetisch dem Virusstamm zugeordnet werden, der Menschen in Afghanistan infiziert, erklärt Raphael Krämer aus der Nachrichtenredaktion von Deutschlandfunk Nova. Er sagt: "Gesichert ist nur: Irgendwer war auf dem Klo und hat dieses Virus ausgeschieden."
Doch auch wenn die Polio-Impfquote in Deutschland mit rund 80 Prozent recht hoch ist, gelte sie als zu gering, um Neuansteckungen mit Sicherheit auszuschließen, sagt Raphael Krämer. 95 Prozent müssten es für einen Komplettschutz sein.
Der Weltgesundheitsorganisation zufolge wurden in diesem Jahr bislang 39 Fälle von Wild-Polio in Afghanistan und Pakistan gemeldet. Europa ist im Jahr 2002 für wild-polio-frei erklärt worden. Fachleute betonen seit Langem, dass eine anhaltende Polio-Übertragung die Rückkehr der Erkrankung ermöglichen könnte.
"An Polio sind in Deutschland noch in den 1950er Jahren tausende Menschen gestorben, waren durch das Virus auf den Rollstuhl angewiesen oder hatten andere schwere Lähmungserscheinungen."
Neben dem Wildtyp gibt es eine weitere Form, das sogenannte Impfstoff-abgeleitete Poliovirus. Es kann durch die Verwendung des oralen Schluckimpfstoffs gegen das Virus entstehen, der abgeschwächte Lebendviren enthält. Nach der Impfung scheiden Kinder das Virus für einige Wochen mit dem Stuhl aus. In Gemeinschaften mit niedriger Impfquote kann sich dieses Virus ausbreiten und wieder zu einer gefährlichen Variante mutieren.
- Epidemiologisches Bulletin | Meldung des Robert Koch Instituts
