In Johannes Familie war Weinen kein großes Thema, über Gefühle reden auch nicht. Das hat sich auf seine Beziehungen ausgewirkt. Ein Experte erklärt, warum Männer oft keine Worte für ihre Gefühle finden und wie sie es – auch später noch – lernen können.
Johannes ist Anfang 30, sehr aktiv und beschreibt sich selbst als jemanden, der immer gute Laune und einen dummen Spruch auf Lager hat. Irgendwann haben ihn Leute in seinem Umfeld gefragt, ob er denn nie traurig sei und so etwas wie Trauer überhaupt fühlen könne. Daraufhin kam Johannes ins Grübeln.
"Komisch, ich habe irgendwie gar keinen Zugang zu diesem Gefühl 'Trauer'. Aber den hätte ich gerne, weil es ja ein wichtiger Teil ist, der in jedem drin ist und zu jedem gehört. Und da habe ich angefangen, mich auf die Suche zu begeben", erzählt er.
Als Mann sozialisiert
Johannes hat die Erfahrung gemacht, dass in Männerfreundschaften generell wenig übers Trauern gesprochen wird. Aber auch in seiner Familie wurde dieses Gefühl nicht groß thematisiert. "Meine Mutter ist einem Umfeld aufgewachsen, wo es hieß: 'Es gibt keinen Grund, traurig zu sein. Uns geht es allen gut.' Trauer ist etwas, dass ich von zu Hause aus nicht gezeigt bekommen habe."
"Ich habe meine Mutter tatsächlich auch nur auf Beerdigungen weinen sehen."
Um einen besseren Zugang zu solchen Gefühlen zu haben, hätte sich Johannes aber Vorbilder gewünscht. Aber nicht nur in seiner Familie gab es die nicht, auch im Freundeskreis hatte Johannes in seiner Kindheit und Jugendzeit niemanden, der ihm dahingehend ein Vorbild war, sagt er.
"Ich habe superviel Computer gespielt, dann hat man mit Freunden Fußball gespielt. Aber das sind nicht die Momente, in denen man mal über Gefühle spricht. Man lenkt sich dann irgendwie ab", erzählt Johannes.
Freundinnen haben Impulse gegeben
Erst später haben Johannes' Freundinnen ihn darauf aufmerksam gemacht, dass "Trauer" ein wichtiges Gefühl ist, das er in sich trägt. Es gab aber auch andere Reflexionen in seinem Leben, darunter ein größerer Streit in seiner Familie. Sich nicht verstanden zu fühlen, hat sich damals in Aggression und Wut umgeschlagen, sagt Johannes: "Ich habe gemerkt: Das ist eigentlich nur eine Kompensation meinerseits von einem Gefühl von Trauer, was ich noch nicht so differenzieren konnte."
"Ich muss mich mal im Spiegel angucken und schauen: Warum reagiere ich eigentlich so, wie ich reagiere?"
Wie Männer reden
In den letzten Jahren hat sich Johannes aber zunehmend auch in seinen Männerfreundschaften geöffnet. Wenn er heute Freunden begegnet und sie fragen: "Wie geht es dir?", dann antwortet Johannes nicht mehr nur mit einem "Gut".
"Ich habe mir angewöhnt, zu sagen: 'An sich gut, aber das und das belastet mich. Und diese kleinen Aussagen haben dazu geführt, dass tatsächlich auch Freunde um mich herum angefangen haben, sich zu öffnen und mir dann auch mitzuteilen, was mit ihnen ist", berichtet Johannes.
Das Klischee vom "starken Mann"
Männer sind vor allem "männlich" und stark – das ist ein Klischee, das sich bis heute hält. Aber wie verbreitet ist es noch? Jonas Rudolph hat Soziale Arbeit und Psychologie studiert und promoviert gerade zu Männlichkeit und Emotionen. Seine Einschätzung ist, dass sich in den letzten Jahrzehnten gefühlsbetontere Männerbilder etabliert haben. Gleichzeitig gebe es auch weiter verstärkt traditionelle Anforderungen an Männer.
"Vielleicht habe ich gerade eine Trennung erlebt oder damals ist ein Verwandter gestorben. Und dann beende ich diese Erzählung mit: 'Passt schon'."
In seiner Masterarbeit schreibt Jonas Rudolph beispielsweise über bestimmte Erzählmuster von Männern. Viele beenden Erzählungen über traurige Erlebnisse wie Trennungen oder den Tod einer nahestehender Person mit den Worten "Passt schon", sagt Jonas Rudolph: "Damit zeige ich, dass in der Vergangenheit kurz mal etwas nicht so gut war, und ich im Hier und Jetzt aber quasi wieder alles unter Kontrolle habe, handlungsfähig bin, Mann bin."
Macho-Bild in neuem Look
Jonas Rudolph hat in seinen Forschungen außerdem festgestellt, dass es bei jüngeren Männern so etwas gibt wie einen "Wettkampf der Gefühle": "Da ging es in den Interviews teilweise darum, dass der besser ist, der mehr Gefühle hat, der mehr Sorgearbeit hat und der sich mehr feministisch einbringt." Für Jonas Rudolph ist das eine Parallele zur "klassischen" männlichen Dominanz: "Wer hat das meiste Geld, die meisten Muskeln, das klügste Wissen, das neuste Auto?"
Aus Sicht von Jonas Rudolph ist es aber auch nicht immer schlecht, Gefühle zu verdrängen. Das sei auch eine natürlich Reaktion, die verhindert, dass wir von unseren Gefühlen überschwemmt werden. Jonas Rudolph spricht dabei von einem Schutzmechanismus.
"Verdrängung kann was ganz Gesundes haben. Wenn mir etwas zu Nahe geht, wenn mich etwas verletzt, dann verdrängt meine Psyche das, damit es mich nicht überfordert."
Auch Johannes hat seine Gefühle lange verdrängt. Für ihn war das allerdings eine sehr schwierige Zeit: "Ich war lange in einer Phase, wo ich sehr unglücklich war mit meiner Situation, und aufgrund von Verpflichtungen meiner Familie gegenüber wollte ich diese Last nicht aussprechen." Sein Motto war damals: Nicht darüber sprechen, dann sehe ich es nicht. Das hat dazu geführt, dass Johannes immer unzufriedener geworden ist.
"Bringt nichts, Gefühle runterzuschlucken"
Irgendwann hat ihm sogar sein Körper Signale gesendet. "Ich habe ziemliche Magenprobleme bekommen. Ich habe mir irgendwann eine Tiefenpsychologie gesucht, weil ich gemerkt habe: Ich muss darüber sprechen. Es bringt nichts, die Gefühle runterzuschlucken. Es kommt irgendwann viel schlimmer wieder."
Heute kann sich Johannes Männern und Frauen gegenüber viel mehr öffnen als früher.
Das bringen therapeutische Männergruppen
In therapeutischen Männergruppen lernen Männer, darüber zu sprechen, was sie bewegt. Eine dieser Gruppen leitet Benjamin Wagner in Wien. Er ist systemischer Psychotherapeut und seine Gruppe heißt "Mannsbuilder". Sie trifft sich regelmäßig, insgesamt ein Jahr lang. "Ich nenne das ganz salopp: Vokabeln lernen. In der Männergruppe arbeiten wir so, dass wir zu Beginn eine Check-In-Runde machen. Da hat jeder fünf Minuten Zeit, drei Fragen zu beantworten. Die erste und wichtigste: 'Wie fühle ich mich heute?'", erklärt Benjamin Wagner.
Wenn Männern das emotionale Vokabular fehlt
Oft kommt dem Psychotherapeuten zufolge die Antwort: "Ich fühl mich ganz gut." Dann ist es die Aufgabe von Benjamin Wagner, nachzuhaken: "Ich sage dann oft: 'Gut ist jetzt kein Gefühl.' Ich versuche dann ein bisschen nachzufragen und dann merkt man schon, da tun sich viele Männer schwer, das Vokabular zu finden."
Wenn Männer beispielsweise von Wut und Ärger sprechen, dann steckt dahinter meist ein anderes Gefühl – etwa Verzweiflung oder Scham, so Benjamin Wagner. Manche Männer müssten auch erst mal genauer in sich hineinspüren, um den Mut aufzubringen, Worte für ihre Gefühlslage zu finden.
"Männlichkeit heißt auch immer, in Konkurrenz zu anderen Männern zu stehen."
Laut dem Psychotherapeuten tun sich Männer vor allem gegenüber anderen Männern schwer, offen über ihre Gefühle zu sprechen. Das liege daran, dass Männer häufig miteinander konkurrieren.
Männer haben untereinander immer das Gefühl, sich durchsetzen zu müssen, so Benjamin Wagner. Der Psychotherapeut sagt, dass Männer auch im Erwachsenenalter lernen können, über ihre Emotionen zu sprechen. Der erste Schritt dafür ist Selbsterkenntnis. Und: den Mut finden, sich einer Person zu öffnen.
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