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Israel will Tausende neue Wohnungen im Westjordanland bauen. Für viele das Aus der Zwei-Staaten-Lösung. Was bedeutet das für Palästinenser – und warum treibt Israels Regierung den Konflikt so massiv voran?

Der Oberste Planungsausschuss der Zivilverwaltung, eine Abteilung des israelischen Verteidigungsministeriums, hat die Pläne für den Ausbau des umstrittenen Siedlungsprojekts E1 genehmigt. Es sollen 3.400 Häuser zwischen Ostjerusalem und der Ma'ale Adumim Siedlung im Westjordanland gebaut werden. Das Bauprojekt betreffe 7.000 bis 8.000 Palästinenser, die in dem Gebiet leben, sagt ARD-Korrespondent in Tel Aviv, Jan-Christoph Kitzler. Sie könnten sich überlegen, ob sie dort in einer Enklave wohnen bleiben wollen oder gehen.

"Wenn man sich das auf einer Karte anguckt, sieht man, dass das Westjordanland in zwei Teile geteilt wird."
Jan-Christoph Kitzler, ARD-Korrespondent in Tel Aviv

Dieses Siedlungsprojekt wurde vom dem israelischen, rechtsextremen Finanzminister Bezalel Smotrich in den vergangenen Monaten vorangetrieben. Er ist auch Minister im Verteidigungsministerium mit Zuständigkeit für zivile Angelegenheiten im Westjordanland und für den Siedlungsbau zuständig. Minister Smotrich sagt offen, dass es ihm bei dem Projekt darum ginge, einen palästinensischen Staat zu verhindern. Denn dieses Siedlungsprojekt würde das Westjordanland in zwei Teile spalten.

"Jedes Jahr sieht man mehr Siedlungen, die immer größer werden, bis sie so groß wie Städte sind."
Hamze Awawde, palästinensischer Friedensaktivist

Der palästinensische Autor und Friedensaktivist Hamze Awawde ist im palästinensischen Gebiet südwestlich von Hebron im Westjordanland geboren. Israelische Siedler oder Siedlungen hat er als Bedrohung wahrgenommen. Er sagt, dass diese Siedlungen eine geopolitische Perspektive verfolgen. Für ihn vermitteln sie die Symbolik von zwei Bevölkerungsgruppen, die unterschiedliche Rechte haben. "Die Leute, die in den Siedlungen leben, haben Vorrang", beschreibt Hamze Awawde die Situation.

Zementierte Ungleichheit zwischen israelischen Siedlern und Palästinensern

Die Siedler hätten das Privileg, sich ausbreiten zu dürfen, und die Armee schütze ihre Interessen vor den Palästinensern, "die alle als Bedrohung gesehen werden", sagt Hamze Awawde.

"Als Palästinenser kannst du jederzeit getötet werden, wenn ein Siedler oder Soldat auch nur das Gefühl hat, von dir bedroht zu sein."
Hamze Awawde, palästinensischer Friedensaktivist

Hamze Awawde lebt inzwischen in Italien, weil für ihn die Lage vor Ort immer gefährlicher und komplizierter wurde. Seit vielen Jahren setzt er sich für den Frieden ein und arbeitet mit Palästinensern und Israelis zusammen. Zwei Tage vor dem Überfall der Hamas auf Israelis am 7. Oktober wurde Hamze Awawde vor seinem Haus von israelischen Soldaten bedroht, die glaubten, er wolle sie angreifen. "Sie hätten uns fast erschossen", berichtet er. Hamze Awawde konnte auf Hebräisch die Soldaten beschwichtigen. Am 8. Oktober hat er das Land mit seinem Sohn verlassen.

Ziel der Siedlungspolitik: "Großisrael"

Kritiker werfen Israel vor, mit dem Siedlungsprojekt gegen das Völkerrecht zu verstoßen und eine Zwei-Staaten-Lösung zu erschweren. Denn für einen Staat braucht es ein zusammenhängendes Staatsgebiet, erklärt Jan-Christoph Kitzler. Je mehr das Westjordanland durch Siedlungen zerteilt wird, desto weniger kann noch von einem zusammenhängenden Staatsgebiet gesprochen werden.

"Was im Westjordanland passiert, ist, dass es immer mehr zerfleddert wird. Da gibt es viele Siedlungen, die das tun."
Jan-Christoph Kitzler, ARD-Korrespondent in Tel Aviv

Die Mobilität der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland würde erheblich eingeschränkt werden. Denn die Palästinenser kommen nicht durch israelische Siedlungen durch, sie müssen Wege daran vorbeinehmen. Außerdem gibt es viele Checkpoints, an denen die Palästinenser kontrolliert werden, sagt der ARD-Korrespondent.

Das Ziel radikaler Siedler und der in Teilen rechtsextremen Regierung Israels ist, das Land vom Jordan bis zum Mittelmeer allein zu bevölkern. Sie leiten ihren Anspruch aus der Bibel ab, wo ihnen das Land sozusagen versprochen wurde, erklärt Jan-Christoph Kitzler. Diese Einstellung sei inzwischen im israelischen Mainstream angekommen.

"Das sind Vorstellungen von einem Großisrael, zu dem das Westjordanland selbstverständlich dazugehört."
Jan-Christoph Kitzler, ARD-Korrespondent in Tel Aviv

Die Pläne für dieses "Großisrael" seien nicht neu, in der aktuellen Lage sei es der Netanjahu-Regierung aber möglich, sie umzusetzen. Denn ein wichtiger Verbündeter, die USA, würden kein Veto einlegen. Der neue US-Botschafter in Israel teilt die Ansicht, dass Israel einen Anspruch auf das Westjordanland hat, sagt der ARD-Korrespondent.

Israelische NGOs hoffen auf Sanktionen gegen Israel

Die angekündigte Anerkennung Palästinas als Staat durch Frankreich, Großbritannien oder Kanada würde nicht ausreichend Druck erzeugen, meint Jan-Christoph Kitzler. Das sei eher Symbolik. Israelische Menschenrechtsorganisationen fordern mehr Druck auf die Netanjahu-Regierung durch Sanktionen und wünschen sich Unterstützung aus dem Ausland.

Innenpolitisch gebe es keine Mehrheit für einen anderen, gemäßigten Kurs in der israelischen Regierung. Die Menschen, die die aktuelle Politik verurteilen, seien zu wenige, meint der ARD-Korrespondent.

Trotz extrem komplizierter Situation Hoffnung

Hamze Awawde blickt sehr nüchtern auf diese Entwicklung. Er sagt, dass ja bereits mehr als 750.000 Siedler in palästinensischem Gebiet lebten. Sollte eine israelischen Regierung noch die Zwei-Staaten-Lösung verfolgen wollen, hätte sie die schier unlösbare Aufgabe, diese Siedler aus den Gebieten wieder herauszuholen. "Als Israel eigene Siedlungen in Gaza mal räumen ließ, lebten dort gerade einmal 10.000 Siedler. Und das hat das Land fast in einen Bürgerkrieg gestürzt", erklärt Hamze Awawde.

Dennoch hat der Friedensaktivist Hoffnung und glaubt, dass die Werte, auf die sich Menschen verständigt haben, sich am Ende durchsetzen werden. "Einfach weil sie aus dem Bedürfnis entstanden sind, Leid zu verringern und all diese sinnlosen Konflikte und das Blutvergießen zu beenden."

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an unboxingnews@deutschlandradio.de

Shownotes
Netanjahu-Regierung
Neue israelische Siedlung: Das Ende der Zwei-Staaten-Lösung?
vom 20. August 2025
Moderatorin: 
Ilka Knigge
Gesprächspartner: 
Hamze Awawde, palästinensischer Friedensaktivist
Gesprächspartner: 
Jan-Christoph Kitzler, ARD-Korrespondent in Tel Aviv