Als Kapitän von Fortuna Köln kennt Robin Afamefuna den Fußball von innen. Er und Fanforscher Robert Claus erklären, warum Rassismus im Stadion kein Einzelfall ist, weshalb Solidarität mehr sein muss als Worte – und was Vereine endlich ändern müssen.
Rassismus erlebt Robin Afamefuna schon seit seiner frühesten Kindheit. Er erzählt von prägenden Erlebnissen, die ihn hinterfragen lassen, warum er Ziel von Herabschätzung, Diskriminierung und Beleidigungen wird.
"Man macht Erfahrungen, bei denen man das Gefühl hat: Okay, bei mir werden Aussagen getätigt, mit denen sich andere nicht herumschlagen müssen. Dann stellt man sich die Frage: Woran liegt das?"
Auch im Fußballstadion sind rassistische Beleidigungen und Angriffe vor allem gegen BIPoC-Spieler keine Seltenheit und kein Einzelfall – allein am 1. Spieltag des DFB-Pokals ist das bei mehreren Spielen passiert. Beispiel: Der Schalke-Spieler Christopher Antwi-Adjei wurde verbal attackiert und danach bei fast jedem Ballkontakt von Lokomotive-Leipzig-Fans ausgepfiffen.
"Aus irgendeinem Grund ist das Stadion ein Ort, an dem viele Leute das Gefühl haben, man darf rufen und schreien, was man möchte, wenn man ein paar Euro Eintritt gezahlt hat."
Im Verlauf der 90 Minuten kam es zu einem Spielabbruch und einer Stadiondurchsage, die die Zuschauenden dazu aufforderte, diskriminierende Rufe zu unterlassen. Nach dem Spiel erfolgten Anzeigen gegen Unbekannt und der Deutsche-Fußballbund leitete Ermittlungen ein.
Hass und Hetze – im Stadion und im Netz
Aber nicht nur auf dem Platz, sondern auch im Netz schlägt sich der Hass nieder: Nach einem heftigen Foul im Pokalspiel gegen Borussia Dortmund richteten sich in den sozialen Medien rassistische Attacken gegen den Rot-Weiß-Essen-Spieler Kelsey Owusu.
"Es ist leider nicht überraschend, weil solche Vorfälle eine sehr lange und sehr traurige Tradition in Deutschland haben."
Der deutsche Nationalspieler Nadiem Amiri machte nach seinem Siegtor im DFB-Pokal gegen Dynamo Dresden massive Beleidigungen gegen sich öffentlich. Sein Club, der FSV Mainz 05, veröffentlichte auf der Online-Plattform X zudem eine rassistische Beleidigung gegen den Mainzer Mittelfeldspieler Arnaud Nordin. "Gemeinsam mit unseren Jungs gehen wir juristisch gegen diese Personen vor", so der Verein.
Verschiedene Perspektiven auf ein systemisches Problem
Robin Afamefuna ist Kapitän der Fußballmannschaft SC Fortuna Köln. Er hat mehrere Perspektiven auf die Anfeindungen, Angriffe und Beleidigungen, die trotz DFB-Kampagnen und Fan-Initiativen weiterhin zum Alltag auf dem Platz gehören: Er blickt auf den Rassismus als Kapitän und Fußballspieler, als Kulturanthropologe, der dazu forscht, und als Mensch, der schon sein Leben lang damit konfrontiert ist.
Die Verantwortung nicht den Betroffenen zuschieben
Neben Rassismus setzt sich der Fortuna-Köln-Kapitän auch mit dem Thema Sexismus auseinander, zum Beispiel mit sexistischen Übergriffen auf Fußball-Schiedsrichterinnen. Viel zu oft kommt es vor, dass bei der Suche nach Lösungen die Verantwortung den Betroffenen zugeschoben wird, kritisiert er. Zudem würden bei der Berichterstattung die Erfahrungen, über die Betroffene berichten, zu häufig infrage gestellt.
Da die Diskriminierung systemisch erfolgt, müsse es strukturelle Lösungen geben, betont Robin Afamefuna. Er sieht den Deutschen Fußball-Bund und die Vereine in der Pflicht, Veränderungen anzustoßen.
Wieso es immer wieder rassistische Übergriffe gibt
Viele Fan-Initiativen, zum Beispiel von Borussia Dortmund, Sankt Pauli oder Eintracht Frankfurt, setzen sich inzwischen gegen Rassismus im Fußball ein. Dennoch scheint sich die Situation nicht wirklich nachhaltig zu verändern.
Exakte Angaben dazu sind schwer, denn anders als im englischen Fußball werden in Deutschland keine Zahlen dazu erhoben. Forschende müssen sich daher auf ihre Expertise und ihren Eindruck berufen, sagt Fanforscher Robert Claus.
"Fälschlicherweise wird ab und zu gesagt, dass es dahingehend in den letzten Jahren Besserungen gab – aber das kann ich auf keinen Fall bestätigen."
Robert Claus nennt einige Ursachen für rassistische Vorfälle in Fußballstadien:
- Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte und nicht-weißer Hautfarbe werden in unserer Gesellschaft strukturell ausgebeutet, abgewertet und ausgegrenzt
- Ungefähr ein Drittel der deutschen Bevölkerung stimmt offen rassistischen Einstellungen und Aussagen zu (Quelle: nach zwei Jahren wiederholte Umfrage des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt-und Gewaltforschung)
- Die Zustimmungswerte zu rassistischen Aussagen im Fußball lägen wahrscheinlich sogar noch darüber – das müsse aber mit weiteren Studien überprüft werden
Rassismus ist nicht nur das Fehlverhalten Einzelner
Unsere Gesellschaft ist rassistisch geprägt, sagt Robert Claus. Gleichzeitig betont er, dass das nicht bedeutet, dass alle Rassist*innen seien. Es gebe viele Menschen, die sich gegen Rassismus einsetzen.
Falsch wäre aber auch zu denken, der Rassismus sei nur das Fehlverhalten Einzelner, sagt Robert Claus. Vielmehr würden die Strukturen der Fußballverbände und -vereine sowie auch die gesellschaftlichen Strukturen im Allgemeinen den Rassismus überhaupt erst möglich machen. Und zwar, weil:
- Menschen mit schwarzer Hautfarbe völlig unterrepräsentiert sind
- Themen wie Vielfalt und Diversität in den Strukturen des deutschen Fußballs nicht ausreichend zur Normalität zählen
Die Strukturen verändern
Um die Strukturen, die systemischem Rassismus Platz bieten, zu verändern, sieht Robert Claus verschiedene Ansatzpunkte:
- das Thema Antidiskriminierung stärker in den Ausbildungswegen und Lehrgängen des deutschen Fußballs implementieren
- Quoten einführen, die die Repräsentation von BIPoC-Personen in Verbänden und Vereinen verbessern
- Proficlubs darin bestärken, Diversität zu einem Bestandteil ihrer Personalpolitik zu machen
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