Urlaub, bezahlte Krankentage, maximale Arbeitszeit: Alles Errungenschaften der Arbeiterbewegung. Die liegt nun aber schon länger zurück. Wir sprechen mit der Soziologin Nicole Mayer-Ahuja über das heutige Arbeitsrecht.

Am 1. Mai ist Tag der Arbeit. Er ist in Deutschland gesetzlicher Feiertag und an diesem Tag soll Arbeitsruhe herrschen. Der Tag gilt aber auch als Symbol für den Kampf der Arbeiterbewegung und die Rechte von Arbeitnehmenden. 1918 hat die Arbeiterbewegung beispielsweise den Achtstundentag erkämpft.

In den letzten Jahren haben sich die Arbeitszeiten allerdings sehr gewandelt, sagt die Soziologin Nicole Mayer-Ahuja. Sie forscht an der Uni Göttingen dazu, wie sich Arbeit und die Klassengesellschaft verändert haben. Sie spricht von einer Entgrenzung von Arbeitszeiten – trotz gesetzlicher Regelungen und Tarifverträgen.

"Ein Großteil der Beschäftigten arbeitet trotzdem immer länger und flexibler, und schafft es immer schlechter Grenzen zu ziehen gegenüber dem Unternehmen."
Nicole Mayer-Ahuja, Soziologin an der Uni Göttingen

Forderung: Arbeitszeiten müssen neu geregelt werden

Heutzutage sei es beispielsweise so, dass Arbeitnehmende in vielen Jobs an Projekten arbeiten. Für die Soziologin ist es problematisch, wenn Vorgesetzte in diesen Fällen keine konkreten Vorgaben zur Arbeitszeit machen: "Wo Vorgesetzte gar nicht mehr sagen, ihr müsst so und solange arbeiten, um das Projekt abzuschließen, dann fangen Beschäftigte in der Regel an, sehr viel länger zu arbeiten. Man soll nur Ziele erreichen, egal wie lange es dauert."

EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung umsetzen

Genau das münde häufig in Mehrarbeit, so Nicole Mayer-Ahuja: "Deutschland ist ein Überstunden-Weltmeister in Europa. Und zwar vor allem von undokumentierten und unbezahlten Überstunden." Die Soziologin fordert deshalb von der kommenden Bundesregierung, ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Arbeitszeiterfassung besser umzusetzen. Das Gericht hatte 2019 entschieden, dass die EU-Mitgliedsländer Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, die Arbeitszeit ihrer Angestellten komplett zu erfassen.

Arbeitnehmende sozial besser absichern

Aus Sicht der Soziologin müssten Arbeitnehmende in Deutschland auch sozial besser abgesichert sein – etwa bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit. Sie kritisiert zum Beispiel die jüngste Diskussion darüber, dass Arbeitnehmende den 1. Krankheitstag nicht mehr von der Krankenkasse bezahlt bekommen sollen. Für Nicole Mayer-Ahuja handelt es sich dabei um einen Rechtsanspruch von Arbeitnehmenden.

Auch die von der kommenden Regierung angekündigten schärferen Sanktionen bei der Grundsicherung, sieht die Soziologin kritisch.

Vier-Tage-Woche nicht die Lösung

In der Diskussion ist auch schon länger die Einführung einer Vier-Tage-Woche für Arbeitnehmende. Einige Unternehmen hätten die auch schon eingeführt, so die Soziologin: "Vor allem viele Beschäftigte setzen das durch. Das sind vor allem Beschäftigte, die relativ hohe Stundenlöhne haben und die sagen: Ich arbeite vier Tage und dann verdiene ich halt ein bisschen weniger Geld."

"kurze Vollzeit" für Soziologin sinnvoller

Nicole Mayer-Ahuja hält das nicht für die Lösung für alle. Sie spricht sich eher für das Modell "kurze Vollzeit" als eine neue Normalarbeitszeit aus. Dabei arbeiten Beschäftigte kürzer – etwa 30 Stunden die Woche – bei vollem Lohn- und Personalausgleich.

Die Soziologin sieht dabei unter anderem Vorteile für Frauen, die weniger als 30 Stunden die Woche arbeiten, meist in Teilzeit oder auf Minijob-Basis. Wenn diese Frauen ihre Arbeitszeit verlängern könnten, wären sie etwa besser vor Armut geschützt, so die Soziologin. Sie findet außerdem: "Wenn die, die Vollzeit arbeiten und viele Überstunden machen, die sie nicht bezahlt bekommen, auf 30 Stunden runterkämen – im Sinne von "kurzer Vollzeit" – wäre das im Sinne einer menschlicheren Arbeitswelt."

Shownotes
Rechte im Job
"Deutschland ist Überstunden-Meister in Europa"
vom 29. April 2025
Moderator: 
Christoph Sterz
Gesprächspartnerin: 
Nicole Mayer-Ahuja, Soziologin an der Uni Göttingen