Lilly ist queer. Ihr fehlten familiäre Vorbilder, die ihr bei der sexuellen Identitätsfindung Orientierung boten. Was Vorbilder für unser Liebesleben bedeuten, erklärt die Psychologin Ulrike Schneider-Schmid.
Mit Anfang 14 kam Lilly zum ersten Mal der Gedanke, bisexuell zu sein. Dies war der Beginn eines queeren Selbstfindungsprozesses, sagt sie. Damals habe sie stark in sich reingehört, nachgedacht und sich Fragen gestellt – etwa: "Was ist der Unterschied zwischen jemanden hübsch und objektiv attraktiv finden oder sich zu jemandem hingezogen fühlen?"
Identitätsfindung: Wenn Ansprechpartner*innen im direkten Umfeld fehlen
Innerhalb ihrer Familie wurde kaum über Gefühle oder Beziehungen gesprochen, erzählt Lilly. Auch in ihrem sonstigen Umfeld habe es leider keine Menschen gegeben, die mit Queerness Erfahrung gehabt hätten. Andere Leute, denen Lilly ihre Gedanken vereinzelt mitgeteilt hat, hätten sie nicht wirklich ernst genommen.
Bei der Orientierung und Aufklärung hätten ihr dann vor allem die sozialen Medien geholfen – mit Videos, in denen queere Menschen aus ihrem Leben erzählen zum Beispiel.
"Es wäre es total schön gewesen, sich mit einem Menschen austauschen zu können, der damit schon Erfahrungen hat."
In Lillys Nachbarschaft heute wohnt ein lesbisches Paar mit Kind. Obwohl sie nie ein Wort mit ihnen gesprochen hat, fühlt Lilly eine Verbundenheit mit ihnen, sagt sie. Diese Menschen draußen zu sehen, außerhalb sozialer Netzwerke, helfe ihr oft gegen das Gefühl des Alleinseins. Außerdem möchte Lilly selbst mal eine kleine Familie haben.
"Ich hätte das total schön gefunden, wenn meine Eltern mit meinem Outing selbst recherchiert und sich irgendwie mit Themen auseinandergesetzt hätten."
Lillys Queersein sei in ihrem Elternhaus heute größtenteils Normalität und Teil des Alltags. Trotzdem hätte sie sich von ihren Eltern damals gewünscht, dass diese sich nach ihrem Outing selbständiger mit dem Thema auseinandergesetzt und recherchiert hätten. Informationsquellen gebe es schließlich genug.
Die Aufbauanleitung unserer Eltern
Die sexuelle Identität der Eltern hat einen großen Einfluss auf Kinder – und zwar nicht nur im Liebes- oder Beziehungsleben, sondern auch in Sachen Queerness und Offenheit, sagt die Psychologin und Psychotherapeutin Ulrike Schneider-Schmid.
"Die sexuelle Identität unserer Eltern hat einen großen Einfluss auf die Kinder nicht nur in Liebesleben, auch im Beziehungsleben, in Sachen Queerness und der Offenheit, die wir dafür in uns tragen."
Ähnlich wie bei einem Baukasten mit Legosteinen erhalten wir von unseren Eltern die erste Aufbauanleitung, vergleicht sie. Nach dieser formten wir unser Inneres, den Blick auf Familie und auf Beziehungsmodelle zum Beispiel.
Wenn uns ein heteronormatives Rollenbild vorgelebt wurde, wir später im Leben aber merken, dass es nicht der eigenen Vorstellung entspricht, dann brauchten wir neue Vorbilder für unseren inneren Legokasten, sagt Ulrike Schneider-Schmid.
Lernen am Modell bedeutet nicht Nachmachen
Lernen am Modell ist zwar eine der wichtigsten Arten, wie ein Mensch vom Baby bis zum Erwachsenenalter lernt und sich entwickelt - das bedeutet aber nicht, dass wir auch alles nachmachen, was uns vorgelebt wird, so die Psychologin.
"Lernen am Modell heißt nicht, dass wir genau das nachmachen, was wir sehen. Es kann sein, dass wir etwas vorgelebt bekommen, dann aber die Konsequenzen daraus beobachten können."
Vielleicht sind unsere Eltern nicht unbedingt glücklich oder nicht glücklich in Aspekten, die uns persönlich wichtig sind, so Ulrike. Dann seien sogar 180 Grad-Kehrtwenden möglich. Andere Vorbilder als unsere Eltern können wir mit steigendem Alter dann auch im Freundeskreis, in den sozialen Medien, auch in Büchern oder in fiktiven Serienfiguren finden, erklärt Ulrike Schneider Schmid.
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- Queere Selbstfindung ohne Vorbilder in der Familie - Gespräch mit Lilly
- Vorbilder fürs Leben finden - Gespräch mit Psychologin Ulrike Schneider-Schmid