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Wer keine Kirchensteuer zahlt, finanziert auch die Kirchen nicht, oder? Doch. Alle Steuerzahlenden in Deutschland unterstützen die Kirchen auch so – mit über 600 Millionen Euro jährlich. Warum? Die Antwort führt zurück ins Jahr 1803.

Das ist mal ein What-the-Fuck-Moment der besonderen Art: Staatliche Zahlungen an die Kirchen – jedes Jahr. Ungeachtet der Konfession oder Kirchenzugehörigkeit der Steuerzahler. 2024 belief sich diese Summe auf 618,4 Millionen Euro. Der Grund dafür liegt über 200 Jahre zurück im sogenannten Reichsdeputationshauptschluss von 1803.

Die Folgen dieses historischen Beschlusses sind bis heute spürbar. Damals wurde im Zuge der Säkularisation kirchliches Eigentum – Land, Klöster, Vermögen – im großen Stil enteignet. Profitiert hat vor allen Dingen eine Gruppe.

"Die Fürsten haben das, was Kirchen gehört hat, für eigene Ausgaben benutzt, haben sich Luxus mitfinanziert, haben sich davon Schlösser gebaut."
Luisa Meyer, Deutschlandfunk, Redaktion Religion und Gesellschaft

Im Gegenzug gab es dafür Ausgleichszahlungen. Und die fließen bis heute.

Eine Zahlung, viele Empfänger – und noch mehr Fragen

Aber während die Kirchensteuer bekannt ist, wissen viele nichts von den Staatsleistungen. Sie machen zwar nur etwa zwei Prozent der kirchlichen Haushalte aus, sind aber komplett steuerfinanziert – und betreffen damit alle Steuerzahler*innen.

Eigentlich sollte diese Regelung längst abgeschafft sein. So steht es zumindest im Grundgesetz. Doch passiert ist nichts. Seit über 100 Jahren – auch in der Weimarer Verfassung war das schon vorgesehen – wartet man auf die Umsetzung.

Aber geht das Geld nicht in die Wohlfahrt?

Die Kirchen tun doch viel für die Gesellschaft, oder? Sind da die Zahlungen nicht gut investiertes Geld?

"Man denkt immer, eine evangelische Kita, eine katholische Schule, muss doch irgendwie der Kirche gehören. Vor allem weil diese Einrichtungen wirklich kirchlich geprägt sind. Tatsächlich werden diese Einrichtungen nicht komplett von der Kirche gezahlt – nicht mal im Großteil."
Luisa Meyer, Deutschlandfunk, Redaktion Religion und Gesellschaft

Ja, Trägerschaften wie Caritas und Diakonie betreiben zahlreiche soziale Einrichtungen. Doch diese werden nicht nur durch die Kirchen finanziert, sondern zu großen Teilen aus öffentlichen Mitteln. Beispiel: Die Caritas finanzierte sich im Jahr 2022 zu 38  Prozent aus staatlichen und EU-Zuschüssen. Kindergärten, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen hier fließt überall auch Steuergeld. Und das zusätzlich zu den Staatsleistungen an die Kirchen.

Können die Staatsleistungen enden?

Die Ampelregierung wollte das Thema anpacken: Schluss mit den jährlichen Zahlungen, stattdessen eine einmalige Ablösesumme. Ein Gesetzentwurf schlug das 18,6-Fache der Jahreszahlung vor – etwa 11,5 Milliarden Euro. Doch wer sollte das bezahlen? Die Länder. Und die winkten ab: viel zu teuer. Die Reform scheiterte vorerst. Doch auch die Kirchen wollen endlich eine Lösung,

"Wenn vielleicht in 30 Jahren noch mal die Debatte aufkommt und die Kirchen dann schon wahnsinnig in der Minderheit sind, sind sie eben nicht mehr in so einer guten Verhandlungsposition."
Luisa Meyer, Deutschlandfunk Religion und Gesellschaft

Selbst die Kirchen wären bereit für Gespräche – sie wissen, dass sie heute noch bessere Bedingungen aushandeln können, als in ein paar Jahren – angesichts der sinkenden Mitgliederzahlen. Doch ohne Einigung mit den Ländern bleibt alles beim Alten.

Ob gläubig, ausgetreten oder religionsfern – wer Steuern zahlt, zahlt auch für die Kirche. Gregor Lischka und Bo Hyun Kim machen sich auf Spurensuche durch die Geschichte, um zu verstehen, warum ein über 200 Jahre alter Deal bis heute unsere Kassen belastet.

Habt ihr auch manchmal einen WTF-Moment, wenn es um Wirtschaft und Finanzen geht? Wir freuen uns über eure Themenvorschläge und Feedback an whatthewirtschaft@deutschlandfunknova.de.

Habt ihr auch manchmal einen WTF-Moment, wenn es um Wirtschaft und Finanzen geht? Wir freuen uns über eure Themenvorschläge und Feedback an whatthewirtschaft@deutschlandfunknova.de.

Shownotes
Kirche, Macht, Kasse
Warum wir alle bis heute für die Kirche zahlen
vom 19. Juni 2025
Gesprächspartnerin: 
Luisa Meyer, Redaktion Religion und Gesellschaft, Deutschlandfunk
Autoren der Folge und Moderation: 
Bo Hyun Kim und Gregor Lischka
Faktencheck: 
Lino Krukenberg und Merle Körber
Produktion: 
Alexander Hardt
Redaktion: 
Anne Göbel
  • Ein bisschen History - WTF ist ein Reichsdeputationshauptschluss?
  • Cash for Care? - Wofür bekommen die Kirchen Geld vom Staat? Und wie setzen sie es ein?
  • The Future is Political - Zahlungen an Kirche abschaffen oder lassen?
  • Wahres für Bares - Unser Fazit
Die Quellen zur Folge:
  • Institut für Weltanschauungsrecht (ifw): Reichsdeputationshauptschluss von 1803 in heutigem Deutsch. Veröffentlicht am 19.11.2019.
  • Statista (2025). Kirchensteuer-Einnahmen in Deutschland - Katholische und evangelische Kirche 2017. Abgerufen am 9. Juni 2025.
  • Deutscher Bundestag. (2021). Staatsleistungen an die Kirchen abschaffen – Antrag der Fraktion DIE LINKE (A-Drs. 19(4)797).
  • Benediktinerkloster St. Godehardi zu Hildesheim. Fonds NLA HA Hild. Br. 3/2. Landesarchiv Niedersachsen – Abteilung Hannover, Hannover, März 2004. Umfang: 4,5 lfdm. Online abrufbar via Arcinsys‑Datenbank.
  • Humanistische Union. (2024, März). Staatsleistungen der Länder an die Kirchen 1949–2024. S. 1–4.