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Zerstörte Häuser, Einschusslöcher, Hinterhöfe voller schlimmer Erinnerungen. Svet führt Menschen durch die Ruinen. Aber warum tun sie sich das an? Und warum er sich selbst?

Auf den ersten Blick wirkt es absurd, in der Ukraine Urlaub zu machen – noch dazu an Orten wie Butscha, Irpin oder Borodjanka, wo Kriegsverbrechen verübt worden sind. Svet, Stadtführer in Kiew, bietet genau hier Touren an, die viele als Dark Tourism bezeichnen würden, und führt Besucher*innen zu Schauplätzen des russischen Angriffskriegs.

"Ich zeige den Leuten die Orte der Kriegsverbrecher und Massaker, die die Russen dort während der Besatzung zum 2022 begangen haben."
Svet führt Menschen durch die Ruinen in der Ukraine

Seine Führungen durch ehemalige Besatzungszonen sind sehr gefragt, sagt Svet. Er arbeitet schon seit fünfzehn Jahren als Tourguide, erzählt er. Vor dem russischen Angriffskrieg habe er klassische Sehenswürdigkeiten gezeigt – etwa die Altstadt von Kiew oder die berühmten Brücken am Fluss. Die Stadt sei durchaus malerisch und vor 2022 deshalb ein beliebtes Ziel für viele Touristinnen und Touristen gewesen.

Früher seien die meisten Gäste aus nordamerikanischen Ländern wie den USA oder Kanada gekommen, inzwischen kämen viele aus Deutschland. Jetzt sind es nur noch rund fünf Prozent der Touristen im Vergleich zu vor dem Krieg, sagt Svet. Es sei kein richtiges Geschäft mehr – und es ginge auch nicht um Gewinn.

Glasscherben, Schutt und Schrott

Svet hat Butscha das erste Mal Ende Mai 2022 als freiwilliger Helfer besucht. Damals sei es schwierig gewesen, dorthin zu gelangen. Überall hätten Glasscherben und Schutt gelegen, waren zerstörte Autos und Militärfahrzeuge auf den Straßen. Ende 2022 erstellte er dann die Tour, deren Ablauf sich seither kaum verändert habe.

Der Schaden in Butscha wird auf über zwei Milliarden Euro geschätzt, sagt der Tourguide. Einiges sei inzwischen aufgeräumt und Häuser teils wieder aufgebaut, deshalb sei es mitunter schwierig vorstellbar, dass hier Krieg und Massaker stattgefunden hätten. Dennoch gibt es Erinnerungsorte wie die Romanow-Brücke, unter der Tausende Flüchtlinge Schutz suchten oder der Flughafen mit der verbrannten Antonow 225, dem größten Lastenflugzeug der Welt.

Den "krebsartigen" Krieg bekämpfen

Von Kriegstourismus möchte Svet nicht sprechen. Das wäre in der Ostukraine er Fall, wo aktuell heftige Kämpfe stattfinden. Was er anbiete, sei eine Art Kulturreise. Es gehe darum zu zeigen, wie dringend dieser "krebsartige" Krieg bekämpft werden müsse. Man muss selbst vor Ort sein, um das zu spüren und den Mut haben, in sich hineinzuhorchen, was das mit einem macht, sagt er.

Ihm ist es wichtig, die Orte mit eigenen Augen zu sehen und sich nicht nur auf Nachrichten zu verlassen. In einer Welt voller Fake-News glaubt er, dass Russland bald KI nutzen werde, um gefälschte Szenarien und Zeugenaussagen zu erstellen – vielleicht sogar komplette Dokumentarfilme über Butscha mit manipuliertem Material.

"Ich denke, dass die Russen schon bald KI einsetzen, um gefälschte Szenarien, gefälschte Zeugenaussagen zu erstellen."
Svet führt Menschen durch die Ruinen in der Ukraine

Wer nur Videos im Netz sieht, verstehe das Geschehen kaum. Um wirklich zu begreifen, was passiert, müsse man vor Ort sein, den Einheimischen in die Augen schauen und die Orte selbst fühlen.

Svet erklärt, dass es auch Regeln für die Tour gebe: Bestimmte Bereiche, vor allem Checkpoints nahe Kiew, dürfe man nicht fotografieren. Zudem sei es verboten, Zäune zu übersteigen oder private Grundstücke, auch abgebrannte oder geplünderte, zu betreten. Fotos dürfe man nur von außen machen. Außerdem versuche man, den Einheimischen gegenüber stets freundlich und respektvoll zu sein.

Tour durch die Ruinen: Spuren eines früheren Lebens

Unser Ukraine-Korrespondent Niels Bula war letztes Jahr bei einer solchen Tour in Kiew dabei. Anfangs zweifelte er, ob es richtig sei, während des Kriegs als Tourist die Schauplätze in den Vororten zu besuchen. Er fragte sich, ob das nicht voyeuristisch oder geschmacklos ist, erzählt er. Nach der Tour mit Svet legte er diese Zweifel jedoch schnell ab.

"Das waren auch Eindrücke, die ich dann in den nächsten Tagen erst mal verarbeiten musste, und die ich natürlich auch nie wieder vergessen werde."
Niels Bula, Ukraine-Korrespondent

Niels beschreibt, wie sie durch Ruinen gingen und noch Schutt in Treppenhäusern und Wohnräumen sahen. Besonders berührend fand er Teller mit erkennbaren Mustern – Spuren eines früheren Lebens. Für ihn war es erschreckend, dass Menschen hier mal glücklich lebten und nun alles zerstört wurde. Diese Eindrücke wird er nie vergessen, sagt Niels.

Er betont, dass Svets Berichte auf Fakten basieren. Er erinnert sich an einen Ort, an dem Männer erschossen wurden, was durch Überwachungsvideos belegt ist. Die Einschusslöcher sind noch sichtbar, ebenso wie die zerstörten Gebäude – alles reale Ereignisse.

Von der Ukraine lernen

Auf der Tour hat Niels einen jungen Studenten aus Taiwan kennengelernt: kein Abenteurer, der aus Neugier den Krieg erleben wolle, sondern ein ruhiger, nachdenklicher und zurückhaltender Mensch. Er mache sich viele Gedanken – vor allem wegen seines Heimatlandes Taiwan, das in einer bedrohlichen Lage sei, weil China Anspruch darauf erhebe.

"Der Student will verstehen, wie die Menschen hier leben, weil er dann vielleicht auch weiß, worauf er sich einstellen muss, falls China angreift."
Niels Bula, Ukraine-Korrespondent

Der junge Taiwanese wolle verstehen, wie die Menschen in der Ukraine leben, um im Falle eines Angriffs Chinas besser vorbereitet zu sein. In Taiwan spiele der Krieg in den Nachrichten kaum eine Rolle. Deshalb habe er die Situation hier mit eigenen Augen sehen wollen. Das sei ein gutes Beispiel dafür, dass die Touren funktionieren, um den Leuten die Augen zu öffnen, sagt Niels.

Treffen mit Putin – wenig Vertrauen in Trump

Ein Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und Russlands Präsisdent Wladimir Putin steht offenbar bald an – möglicherweise sogar mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

Viele Ukrainer*innen sind jedoch skeptisch und misstrauen dem US-Präsidenten. Niels berichtet von einem älteren Mann, der noch vor Trumps Äußerungen sagte, niemand wisse wirklich, was in dessen Kopf vorgehe – ein Satz, der die allgemeine Stimmung gut widerspiegelt.

Selenskyj betont, dass zunächst ein Waffenstillstand notwendig sei, bevor Gespräche mit Putin möglich wären, gefolgt von Sicherheitsgarantien. Die Skepsis gegenüber Trump bleibt, da er oft widersprüchliche Signale sendet, sagt unser Korrespondent: Mal unterstützt er die Ukraine, dann sucht er wieder das Gespräch mit Putin, der ihn lobt und russische Propaganda verbreitet.

Zwar gibt es Anzeichen für verschärfte Sanktionen, doch viele in der Ukraine glauben kaum, dass sich ihre Lage dadurch spürbar verbessert.

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an unboxingnews@deutschlandradio.de

Shownotes
Kriegstourismus
Urlaub in der Ukraine: Verrückt oder wichtig?
vom 07. August 2025
Moderation: 
Marcel Bohn
Gesprächspartner: 
Svet führt Menschen durch die Ruinen in der Ukraine
Unsere Quellen: