Sinas Leben wirkt perfekt, doch sie kann nicht schlafen. Im Schlaflabor trifft sie Janis – eine Frau, deren Alltag völlig anders ist. "Der Schlaf der Anderen" erzählt von einer ungewöhnlichen Freundschaft und der Frage, was uns nachts wach hält.
Normalerweise erfährt Janis nicht viel über die Menschen, die sie eine Nacht lang betreut. Sie sieht, was auf der Überweisung ins Schlaflabor steht. Sie sieht die Menschen beim Verkabeln. Und am nächsten Morgen geht sie nach Hause, isst eine Pizza und legt sich hin.
Niemand wartet auf sie. Niemand will etwas von ihr. Eigentlich ist sie überqualifiziert für den Job – den machen vor allem Medizinstudenten. Janis ist gelernte Krankenschwester.
"Der Schichtdienst, die körperliche Anstrengung und die Verantwortung haben sie kaputtgemacht, seelisch und körperlich."
Ihr Rücken tut immer weh. Seelisch und körperlich fühlt sich Janis am Ende. Zum Glück muss sie im Schlaflabor keine ganze Station betreuen, sondern nur eine Person. Mehr geht für sie auch nicht.
Sina und Janis – die unfreiwillige Paarung
Wenn Sina Feierabend hat, kann sie sich nicht hinlegen. Sie ist Kunstlehrerin und Kollegin. Außerdem ist sie Mutter, Ehefrau und Hundebesitzerin. Sie muss oft Rücksicht nehmen. Zum Beispiel auf Matthias, ihren Mann, der auch Lehrer ist und mittags um Ruhe im Haus bittet, damit er seinen Mittagsschlaf halten kann.
Mit dem Hund geht er nur am Wochenende raus, dann aber richtig lange, weil er das Fahrrad nimmt. Sinas Sohn Ben hat nicht immer Lust auf den Hund, und ihre Tochter Ida ist noch zu klein. Also geht Sina Gassi. Das ist das Leben, das sie wollte: Mann, Kinder, Haus, Garten. Den Hund wollte sie nicht. Sie liebt ihn trotzdem. Was ist also das Problem?
Das ideale Leben, das einem den Schlaf raubt
Um herauszubekommen, wie sie ihre Schlafschwierigkeiten in den Griff bekommen kann, wird Sina ins Schlaflabor überwiesen. Natürlich wird sie in dieser Nacht genauso wenig schlafen wie in den vielen Nächten zuvor.
Könnte sie einschlafen, wäre der Roman auch viel zu früh zu Ende, und wir wüssten noch viel zu wenig von Sina und Janis, den beiden Frauen, die sich in der blauen Stunde zwischen Tag und Nacht begegnen und deren ganz unterschiedliche Leben sich auf einmal berühren, sagt Reporterin Lydia Herms über diese tiefgründige Geschichte von Tamar Noort.
Bis Sina ihr Problem genau ergründen kann, dauert es eine Weile: Es braucht eine Nacht mit Janis, ein tonnenschweres Samtsofa, ein paar geheime Zigaretten und ein altes Bild.
Das Buch:
"Der Schlaf der Anderen" von Tamar Noort, Rowohlt, 320 Seiten, gebundene Ausgabe (Hc.): 24 Euro, eBook: 19,99 Euro. Ein Hörbuch gibt es auch, gelesen von Julia Nachtmann, knapp acht Stunden Laufzeit, circa 16 Euro oder im Stream; Erscheinungstermin: 17.06.2025
Die Autorin:
Tamar Noort, geboren 1976 in Göttingen, ist in den Niederlanden aufgewachsen. Sie studierte Kunst- und Medienwissenschaften sowie Anglistik und hat die Masterclass Non-Fiction an der Internationalen Filmschule Köln absolviert. Für einen Auszug aus ihrem Debüt "Die Ewigkeit ist ein guter Ort" gewann sie 2019 den Hamburger Literaturpreis.
Tamar Noort war Stipendiatin im Künstlerdorf Schöppingen und in Worpswede. Sie erhielt das Spreewald-Literatur-Stipendium und das Heinrich-Heine-Stipendium Lüneburg. Neben ihrer literarischen Arbeit macht sie Dokumentationen für ZDF, Arte und 3sat. "Der Schlaf der Anderen" ist ihr zweiter Roman.
