Manche Menschen arbeiten unter Zwang. Das ist zwar in Deutschland völlig verboten, doch Fälle gibt es viele. Und nur wenige Täter werden ermittelt. Ein Blick auf das Problem und einige Lösungsansätze.

Mehr als zehn Stunden täglich, sechs Tage die Woche und weit unter Mindestlohn – so wurden Beschäftigte in einem Nagelstudio in Oberbayern ausgebeutet. Anfang August 2025 ist der Betreiber verurteilt worden. Und das ist kein Einzelfall.

Zwangsarbeit ist eine besonders krasse Form der Arbeitsausbeutung, überwiegend sind Migrant*innen die Opfer. Die Branchen Bau, Logistik, Pflege, Gastronomie, Landwirtschaft, Reinigungswesen und die Fleischindustrie sind besonders betroffen.

Gewalt als Druckmittel

Bei dem Fall in Oberbayern wurden Arbeitnehmende von Vietnam nach Ungarn geschleust. Sie hatten wegen der Schleusung hohe Schulden und mussten diese abarbeiten. "Sie haben die Ausbeutung im Nagelstudio in Kauf genommen", berichtet Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Lisa Westhäußer. Manchmal werden Betroffenen auch die Pässe weggenommen oder sie werden psychisch oder mit Gewalt unter Druck gesetzt, sagt sie.

Zwangsarbeit ist juristisch klar definiert. "Jemand in einer Zwangslage wird dazu gebracht, eine ausbeuterische Beschäftigung anzunehmen" , erklärt die Journalistin. Sie kennt Fälle, in denen Angestellte in Nagelstudios für einen Stundenlohn von unter zwei Euro gearbeitet haben. Zwar werden immer wieder Täter ermittelt. Die Zahl der Fälle genauer zu benennen, sei aber schwierig, "denn die Dunkelziffer ist wahnsinnig hoch".

Hohe Dunkelziffer

Im Jahr 2024 haben die Behörden bundesweit nur zwölf Betroffene von Zwangsarbeit und Arbeitsausbeutung in Nagelstudios festgestellt. Die meisten Expert*innen gehen davon aus, dass es viel mehr Betroffene gibt, sagt Lisa Westhäußer. Aber es sei schwer, die Zwangsarbeit nachzuweisen und "die Betroffenen melden sich in den allerwenigsten Fällen selbst bei Beratungsstellen".

Ein Grund dafür: Von Zwangsarbeit sind oft Menschen betroffen, die in ihren Herkunftsländern schlechte Erfahrungen mit dem Staat gemacht haben und ihre Rechte nicht kennen, so unsere Reporterin. Wenn diese dann in Deutschland ausgebeutet werden, fehle ihnen das Wissen und das Vertrauen, zur Polizei oder zu einer Beratungsstelle zu gehen. Umgekehrt könnten die Behörden nicht jedes Nagelstudio und jede Baustelle engmaschig kontrollieren.

Hinzu komme aber auch, dass Ausbeutung gerade von Migrant*innen teils gesellschaftlich toleriert werde – und die von Menschen in prekären Jobs überhaupt, findet Tobias Seitz vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Als Beispiel nennt er das Gefühl von Normalität, das sich einstellt, wenn freitagabends um 20:00 Uhr abends noch der Paketbote klingelt.

"Wenn man die Sache wirklich besser machen will, dann muss man sich nicht nur um die krassen Fälle, sondern um die prekären Beschäftigungsverhältnisse kümmern."
Philipp Schwertmann, Beratungsstelle Arbeit und Leben

Was also tun? Einen Hinweis auf mögliche Lösungsansätze gibt ein Blick auf den Kontext von Zwangsarbeit:

Typischerweise findet die heute in Branchen statt, die sich durch einen geringen Organisationsgrad auszeichnen, erklärt Tobias Seitz, in denen also zum Beispiel wenig Menschen in Arbeitnehmerverbänden wie Gewerkschaften organisiert sind. Auch gebe es in diesen Bereichen wenig Tarifverträge. Und es seien oft Branchen, die sich um Fachkräfte aus dem Ausland bemühen.

"Eine große Gemeinsamkeit zwischen den Branchen ist, dass es eine sehr geringe Tarifbindung gibt. Auch einen geringen Organisationsgrad, wenig Betriebsräte."
Tobias Seitz, Deutsches Institut für Menschenrechte, Berlin, über die Gemeinsamkeiten der betroffenen Branchen

Lisa Westhäußer findet, gegen die Zwangsarbeit unserer Gegenwart könnten der Ausbau von Beratungsangeboten und die Sensibilisierung von Behörden für das Thema helfen – "Am wichtigsten ist es aber, bei der Prävention anzusetzen. Also zum Beispiel schon in den Herkunftsländern über die Rechte von Arbeitnehmern in Deutschland aufzuklären und über Anlaufstellen."

Hinweis: Das hervorgehobene Zitat von Philipp Schwertmann hatten wir hier im Text fälschlicherweise Tobias Seitz zugeordnet. Wir haben die falsche Zuordnung korrigiert.

Shownotes
Zwangsarbeit in Deutschland
Ausbeutung (nicht nur) im Nagelstudio
vom 18. September 2025
Moderation: 
Dominik Schottner
Gesprächspartnerin: 
Lisa Westhäußer, Deutschlandfunk-Nova-Reporterin