Israels Bodenoffensive geht weiter und er ist mittendrin – Amar Mardini aus Deutschland ist Arzt und gerade im Gazastreifen. Wie schafft er es, zwischen Zerstörung und Krieg medizinische Hilfe zu leisten?
Am 16.06.2025 startete die israelische Armee erneut eine Bodenoffensive mit Panzern und Infanterie im Gaza-Streifen. Erklärtes Ziel ist die Einnahme der Trümmer von Gaza-Stadt, die vollständige Zerschlagung der Hamas und die Befreiung mutmaßlich 20 israelischer Geiseln. Bodenoffensive bedeutet: massive Angriffe aus der Luft sowie schwerer Artilleriebeschuss. "Gaza brennt", schrieb Israels Verteidigungsminister Israel Katz auf der Plattform X. Die Armee gehe mit "eiserner Faust" gegen die terroristische Infrastruktur im Gazastreifen vor.
Arzt Mardini: "Die schlechteste Lage, seit ich in Gaza bin"
Zuvor hatte das israelische Sicherheitskabinett die Einnahme der Stadt Gaza gebilligt. Das israelische Militär forderte die Zivilbevölkerung auf, in die sogenannte humanitäre Zone in der Nähe von al-Mawasi im Süden des Gaza-Streifens zu flüchten. Nach israelischen und palästinensischen Angaben haben sich bereits hunderttausende Menschen auf den Weg gemacht oder haben die Stadt bereits verlassen. (Stand: 10.09.2025)
"Die Leute sind zunehmend verzweifelt. Die Leute sind hoffnungslos."
Amar Mardini hilft als Arzt im Gaza-Streifen in einem Zeltkrankenhaus im Süden. Eigentlich arbeitet er in der Uniklinik in Rostock. Seit Beginn der gegenwärtigen israelischen Offensive beobachtet er eine massive Verschlechterung der humanitären Situation. "Momentan, muss ich sagen, ist die Lage die schlechteste, seit ich in Gaza bin", sagt er. Das Guesthouse, in dem er sich aufhält, wenn er nicht arbeitet, liegt in Deir al-Balah. Dort befindet sich das Lager der Hilfsorganisation Cadus.
"Man spricht immer von der sogenannten humanitären Zone – aber auch hier finden Luftangriffe statt."
"Die Ressourcenknappheit ist weiterhin katastrophal", berichtet Amar Mardini. Menschen müssten Bandagen zur Wundpflege selbst mitbringen, Schmerzmittel seien knapp und müssten für Menschen mit schweren Verletzungen zurückgehalten werden.
"Man merkt im südlichen und mittleren Gaza-Streifen eine deutliche Zunahme von Binnenflüchtlingen. Wir reden von mehreren Hunderttausend. Es gibt keinen Platz mehr. Ich weiß nicht, wo diese Leute noch hingehen sollen."
Knapp 65.000 Palästinenserinnen und Palästinenser sollen seit Beginn des Gaza-Kriegs getötet worden sein (Stand: 10.09.2025). Die israelische Seite beklagt seitdem etwa 2.000 Tote, davon sind 910 Soldatinnen und Soldaten der israelischen Armee (Stand: 20.09.2025).
Die UN-Sonderkommission bezeichnet das Vorgehen Israels im Gaza-Streifen seit Oktober 2024 als "Genozid". Eine Vielzahl von Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen weltweit tun das auch. Die israelische Regierung weist die Vorwürfe zurück und beruft sich – nach dem Angriff der Hamas vom 07.10.2023 – auf ihr Recht auf Selbstverteidigung.
Israel bekommt Rückendeckung (nur noch) von den USA
Die Bodenoffensive in Gaza-Stadt wird von Israel mit dem Kriegsziel der Hamas-Zerschlagung begründet, sagt Julio Segador. Er ist ARD-Korrespondent für Israel mit Sitz in Tel Aviv. "Kein Land ist eigentlich mehr an der Seite Israels – mit Ausnahme der Vereinigten Staaten", sagt er.
"Solange dieser Krieg weitergeht, sitzt Benjamin Netanjahu fest im Sattel. Er ist ein ausgesprochener Machtpolitiker."
Israel riskiert das Leben der Hamas-Geiseln und das Leben der Soldaten, die dort jetzt vorgehen, sagt Julio Segador. Und der Straßenkampf in Gaza-Stadt sei ohnehin besonders riskant. Der Fortgang des Krieges sichere jedoch das politische Überleben des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.
"Jetzt kommt aus militärischer Sicht das, was Israel nie haben wollte: Häuserkampf im Guerillakrieg."
Die palästinensischen Zivilisten sind zum Verlassen von Gaza-Stadt aufgerufen worden. "Es heißt, dass etwa 500.000, vielleicht auch 600.000 Einwohner noch in der Stadt sind", sagt Julio Segador.
Viele wollen nicht wieder flüchten
Doch auch unabhängig von der israelischen Offensive sei nur ein Teil der Zivilisten überhaupt bereit, die Stadt zu verlassen. Viele Menschen waren schon zuvor geflohen und wollen nicht erneut flüchten. "Wir wissen nicht, ob uns das den Tod bringt, aber wir wollen nicht raus aus der Stadt", so beschreibt Julio Segador ihre Haltung. Insgesamt, so die Schätzung, könnten etwa 3.000 Hamas-Kämpfer in der Stadt sein.
"Man könnte sagen: Gaza-Stadt ist die letzte Bastion der Hamas im Gazastreifen."
Die palästinensische Zivilbevölkerung spielt für die militärischen Pläne Israels keine Rolle. "Fakt ist zur Stunde, dass Lebensraum für ungefähr zwei Millionen Menschen komplett zerstört worden ist und dass der Wiederaufbau dieses Lebensraumes möglicherweise Jahrzehnte dauern wird", sagt Julio Segador.
Amar Mardini ist wegen der Zivilisten im Kriegsgebiet besorgt. Selbst jene, die aus medizinischen Gründen den Gaza-Streifen verlassen müssten, könnten es nicht. "Es warten hier laut WHO knapp 13.000 bis 15.000 Menschen auf eine akute Evakuierung", sagt der Arzt.
Und er fügt hinzu: "Oft liegt es daran, dass wir die Patienten nicht rausbekommen. Es liegt oft daran, dass wir keine aufnehmenden Länder finden."
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