Das "Problem im Stadtbild", angesprochen von Friedrich Merz in einer Pressekonferenz, hat eine scheinbar nicht enden wollende Diskussion ausgelöst. Wie kann aus dieser Debatte konstruktive Veränderung entstehen - und ist das überhaupt möglich?
Ausgelöst wurde die aktuelle Stadtbild-Debatte durch eine Aussage des Kanzlers bei seinem Antrittsbesuch in Brandenburg. Auf die Frage eines Journalisten nach seiner früheren Ankündigung, die AfD halbieren zu wollen, habe Merz geantwortet, damals seien Fehler gemacht worden, die seine Regierung nun korrigiere.
Merz betonte, dass die Migrationszahlen deutlich gesunken seien, räumte gleichzeitig aber ein, dass es "im Stadtbild noch dieses Problem" gebe. Deshalb setze die Bundesregierung verstärkt auf Rückführungen. Damit verknüpft Friedrich Merz das Thema Stadtbild direkt mit Migration und Abschiebungen, so unsere Reporterin Minh Thu Tran.
Äußerungen als verletztend empfunden
Den Begriff vom Stadtbild hat Merz dabei nur vage in den Raum gestellt, ohne zu erklären, was genau er damit meint. So hat sich vieles hineininterpretieren lassen – von Verwahrlosung in Innenstädten, offenem Drogenkonsum oder Obdachlosigkeit bis hin zur Angst vieler Frauen im öffentlichen Raum – oder aber, dass es in seiner Wahrnehmung zu viele Ausländer oder Menschen mit Migrationshintergrund auf den Straßen gibt, so unsere Reporterin.
"Weil er das Stadtbild im Zusammenhang mit Migration genannt hat, haben das viele Menschen mit Migrationshintergrund auf sich bezogen und auf ihrer Liebsten."
Weil er das Stadtbild aber im Zusammenhang mit Migration erwähnt hat, haben viele Menschen mit Migrationshintergrund seine Aussage auf sich und ihre Angehörigen bezogen – und sich entsprechend irritiert und verletzt gezeigt.
Stadtbild – Kritik und zustimmung für Merz
Kritik kam vor allem von Grünen und Linken, während die FDP auffällig still blieb. In sozialen Medien entstand schnell ein Trend, bei dem sich Menschen mit Migrationshintergrund beispielsweise in Ausgeh-Outfits zeigten – mit der ironischen Caption: "Wir gehen jetzt das Stadtbild ruinieren."
Im Bundestag nannte Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge die Aussage rassistisch und forderte eine Entschuldigung, die Merz zunächst verweigerte. Auf Nachfrage entgegnete er nur: "Fragen Sie mal Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte." Das löste erneute Empörung aus – viele Frauen fühlten sich instrumentalisiert. In mehreren Städten, darunter Berlin, kommt es bis heute noch zu Protesten.
Es gibt auch Stimmen, die Merz teilweise unterstützen. Jens Spahn, Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, meint, der Kanzler werde absichtlich missverstanden. Grünen-Politiker Felix Banaszak erkennt zwar Probleme im Stadtbild, teils auch im Zusammenhang mit Migration, kritisiert aber die unklare Formulierung des Kanzlers.
Eine Woche später präzisierte Merz in London seine Aussage: Deutschland brauche Migration als Teil des Arbeitsmarkts, betonte er, richtete seine Kritik aber an "bestimmte Gruppen". Während einige ihm also zustimmen und sagen, Probleme würden sonst ignoriert, werfen andere ihm vor, durch die Verknüpfung von Stadtbild und Migration Ressentiments zu schüren.
Wenn Polarisierung Problemlösungen überlagert
Die Journalistin und Autorin Gilda Sahebi findet es wichtig, über Probleme in deutschen Städten zu sprechen – aber auf das Wie komme es an. Ihrer Meinung nach würden Menschen hierzulande unter Strukturen leiden, die in einem der reichsten Länder der Welt nicht existieren sollten. Sie sieht Gesprächsbedarf, um solche Missstände nicht zu ignorieren.
"Es wird einfach Gut und Böse aufgemacht und es geht im Prinzip darum, immer zu polarisieren, um Leute auf die eigene Seite zu bringen."
Gleichzeitig kritisiert Sahebi, dass Merz mit seiner Aussage pauschalisiere und polarisiere. Bei Debatten über Migration oder Kulturkampf werde oft ein Gut und Böse konstruiert. Wer kritisiere, sei auf der "schlechten" linken Seite, wer die Probleme sehe, auf der "guten" konservativen. So würden Aufmerksamkeit und Stimmen gewonnen – ähnlich wie bei Donald Trump oder der AfD, die Polarisierung bewusst nutzten.
Gilda Sahebi: Über reale Probleme sprechen
Die Konkretisierung von Merz an seiner Aussage habe an der Polarisierung wenig geändert, sagt Sahebi. Dennoch würden die Debatten nun stärker soziale Aspekte behandeln, etwa Forderungen von Frauen nach mehr Schutz im öffentlichen und häuslichen Raum. Die Diskussion gehe weiter, weil Gewalt, soziale und ökonomische Probleme in Städten ungelöst seien. Auch wenn Merz wenig dazu beigetragen habe, halte die Kontroverse die Debatte aufrecht.
Statt zu pauschalisieren, sollten Probleme besser konkret benannt werden – etwa Obdachlosigkeit, fehlende Hilfeangebote und Unsicherheit im öffentlichen Raum. Viele Menschen stünden nicht an den Polen der Debatte, sondern irgendwo dazwischen – diese Stimmen würden oft übersehen. Polarisierung werde politisch und medial konstruiert, etwa durch Gut-Böse-Erzählungen wie "die bösen Migranten" und "die guten Deutschen". Das sei ein Problem beim Diskurs.
"Hoffnung in der Gesellschaft, nicht in der Politik"
Schon Begriffe wie konservativ oder rechts lösten bei vielen sofort negative Assoziationen aus – etwa mit Reichtum, Rückständigkeit oder Rassismus. Umgekehrt werde links ebenfalls mit bestimmten Vorurteilen belegt. Wenn dann jemand sagt, er stimmt einer konservativen Position zu, wird diese Person schnell in eine Schublade gesteckt, so die Journalistin.
"Diese politische Debatte ist wirklich sehr eingefahren und ich sehe gerade nicht, was das verbessert. Ich sehe gerade immer eher das Gegenteil."
Gilda Sahebi meint, der Einzelne müsse sich selbst hinterfragen, ob man Menschen nicht zu sehr auf bestimmte Haltungen reduziert. Es gebe konservative, heimatverbundene Menschen, die nicht rassistisch seien. Doch solche Differenzierungen gingen in den aufgeheizten Debatten oft verloren – ein Ergebnis der zunehmenden Polarisierung.
Ob sich Debatten künftig weniger polarisierend führen lassen, da ist sich Gilda Sahebi nicht sicher. Ihr Vertrauen liege momentan eher in der Gesellschaft als im politischen System. Besonders in Begegnungen mit engagierten Menschen sehe sie Hoffnung, weil viele tatsächlich etwas verändern wollten. Die politische Debattenkultur hingegen empfinde sie als zunehmend festgefahren – jede Diskussion werde hitziger als die vorherige. Statt Verständigung erlebe sie immer mehr symbolische Aufreger, die wenig zur Lösung echter Probleme beitrügen.
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