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Welche Hoffnungen knüpfen die Menschen in der Ukraine an die aktuellen Verhandlungen? Unsere Korrespondentin fängt die Stimmung im Land ein. Außerdem ordnen wir ein, wie stark das russische Militär noch ist und mit welchen Problemen es kämpft.

Die Ukraine erlebt gerade den vierten Kriegswinter. Die Menschen sind zermürbt, sagt Rebecca Barth, ARD-Korrespondentin in der Ukraine. Sie hoffen darauf, dass dieser Krieg endlich aufhört.

"Wir haben eine Gesellschaft, die im vierten Kriegsjahr ist, die müde ist, die erschöpft ist, die keine Perspektive für sich sieht."
Rebecca Barth, ARD-Korrespondentin in der Ukraine

"Das größte Problem ist dieses Gefühl von Perspektivlosigkeit, von Ausweglosigkeit", sagt Rebecca. Zum vierten Mal steht ein kalter, dunkler Winter bevor. Hinzu kommen innenpolitisch ein Korruptionsskandal, der das Vertrauen in die Regierung schwächt, und außenpolitisch der Versuch, irgendwie die eigene Zukunft mitzusteuern.

In der Ukraine schwindet die Hoffnung

Das ist gar nicht so einfach: Da ist der sogenannte Friedensplan der USA, die EU versucht, Einfluss zu nehmen, und nicht zuletzt ist da die Machtstrategie Russlands, das unbeirrt weiter angreift.

"Die Menschen fragen sich immer lauter: Wie lange halten wir denn das eigentlich noch durch?"
Rebecca Barth, ARD-Korrespondentin in der Ukraine

Zu Beginn des Krieges waren die Menschen in der Ukraine sehr motiviert und überzeugt, sich verteidigen zu können, sagt unsere Korrespondentin. Jetzt machten sich zunehmend große Sorgen und Hoffnungslosigkeit breit.

Tatsächlich hat die Ukraine in diesem Jahr so viel Territorium verloren wie in den vergangenen Jahren nicht, erklärt sie. Das russische Militär rückt verhältnismäßig schnell vor, die Personalprobleme auf ukrainischer Seite sind massiv.

"Die Lücken in der ukrainischen Verteidigung aufgrund des Personalmangels sind sehr groß. Russland hat mehr Soldaten, Russland hat mehr Material, Russland hat mehr Ressourcen auf allen Ebenen."
Rebecca Barth, ARD-Korrespondentin in der Ukraine

Mit den USA unter Trump ist der Ukraine der wichtigste Partner weggebrochen. Den russischen Streitkräften gelingt es zunehmend, die Logistik der ukrainischen Armee zu kontrollieren. Die Soldaten, von denen viele schon weit mehr als vier Jahre im Krieg sind, sind müde, so Rebecca.

Ukraine wehrhafter als gedacht

Das ist die negative Sichtweise. Aber es gibt auch eine positive, sagt sie – und zwar, "dass die Ukraine es überhaupt schafft, dieser Streitmacht etwas entgegenzusetzen, obwohl sie so viel kleiner ist mit so viel weniger Ressourcen."

"Die Russen versuchen seit elf Jahren, den Donbass einzunehmen – und schaffen es nicht."
Rebecca Barth, ARD-Korrespondentin in der Ukraine

Das sei mehr, als westliche Geheimdienste dem Land zugetraut hatten. Und trotzdem: "Es ist gerade eine sehr kritische Situation für die Ukraine." Und das macht es schwierig für das Land, zu verhandeln – denn Russland ist sich der Lage natürlich bewusst.

Rüstungsnachschub Russlands langfristig problematisch

Gleichzeitig: Russland verliert täglich rund tausend Soldaten, täglich kostet die Rekrutierung von Soldaten das Land zig Millionen US-Dollar, sagt Leslie Schübel. Sie arbeitet für die Körber-Stiftung und setzt sich dort vor allem mit Internationaler Politik und insbesondere Russland und russischer Innen- und Außenpolitik auseinander.

"Quellen der Moskau Times zufolge gibt Russland 22 Millionen US-Dollar am Tag für Militärrekrutierung aus. Und diese Zahl ist seit Beginn der Vollinvasion massiv gestiegen."
Leslie Schübel, Programm-Managerin Internationale Politik bei der Körber-Stiftung

Allerdings: "Diese Geldanreize funktionieren gut, um Soldaten anzuwerben“, erklärt sie. Das heißt: "Im Vergleich zu der Ukraine hat Russland bedeutend größere Personalressourcen, die zum jetzigen Zeitpunkt sogar noch ohne Zwang größtenteils ausgeschöpft werden können."

Kurzfristig schaffe es Russland offenbar auch recht gut, den Nachschub an Rüstungstechnik aufrechtzuerhalten: Langfristig jedoch könnten strukturelle Probleme zu Engpässen führen.

"Die Fähigkeit, hochwertige und moderne Waffen herzustellen und technologische Innovation zu bringen, was in so einem Krieg auf lange Sicht wichtig ist, wird immer fraglicher."
Leslie Schübel, Russland-Expertin bei der Körber-Stiftung

Und die Menschen in Russland spüren die Sanktionen, sagt Leslie Schübel. Sie würden langsam unzufriedener. Noch zeigten die Umfragen das zwar nur wenig, aber es gebe Indizien: So zeigten Zahlen etwa einen deutlichen Anstieg des Alkoholkonsums und einen Rückgang der Geburtenrate.

Trotzdem habe Putin noch den Rückhalt der Bevölkerung für diesen Krieg.

"Meiner Einschätzung nach könnte es für Russland aktuell kaum besser laufen."
Leslie Schübel, Programm-Managerin Internationale Politik bei der Körber-Stiftung

Und: In den aktuellen Verhandlungen über den sogenannten 28-Punkte-Plan für ein Kriegsende laufe es für Russland sehr gut. Putin habe wohl ein unausgesprochenes Kriegsziel erreicht – nämlich dass die USA über Europa hinweg auf Augenhöhe mit Russland sprechen.

Die Ukraine wiederum sei vor die Wahl gestellt, wie Selenskyj es auch ausgedrückt hatte, entweder "seine Würde zu verlieren" – oder mit den USA ihren wichtigsten Partner. Im Moment tue sie alles, so unsere Korrespondentin Rebecca Barth, um von Trump nicht fallengelassen zu werden.

Russland hat keinen Druck, einem Plan zuzustimmen

Von außen betrachtet scheint sich in dem Konflikt die immer gleiche Storyline zu wiederholen: Ein Plan wird vorgelegt, Europa und die Ukraine versuchen, diesen Plan abzuschwächen, am Ende lehnt Russland immer ab.

Allerdings, so Leslie Schübel, "ist der aktuelle Plan jetzt durchaus der bisher umfassendste und am meisten ernstzunehmende". Dass Putin ihn ablehnt und bei seinen Maximalforderungen bleibt, obwohl der Plan als russlandfreundlich zu bezeichnen sei, zeige, dass Putin gar keine Zugeständnisse machen wolle.

"Druck scheint Putin aktuell gar nicht zu verspüren."
Leslie Schübel, Russland-Expertin bei der Körber-Stiftung

Unterm Strich: Die Ukraine ist auf die USA angewiesen. Der aktuellste Plan ist in seiner ursprünglichen Form vom Tisch. Das zeigt, so Rebecca Barth, "wie sehr die Europäer, vor allem die Ukraine, übergangen werden." Weil man sie nicht als wichtig betrachte.

Der ukrainische Präsident hat wenig Spielraum

Und Selenskyj? Der hat wenig Optionen, ist in vielen Bereichen machtlos: "Er hat ja nicht viel Spielraum. Er gibt sich konstruktiv, gesprächsbereit." Offiziell bedanke man sich ritualisiert bei Donald Trump für seine Friedensbemühungen. Daran glauben würde aber niemand in der Ukraine wirklich. Es sei klar: Alles hängt an Putin.

"Man weiß: Über Krieg und Frieden entscheidet im Endeffekt Wladimir Putin."
Rebecca Barth, ARD-Korrespondentin in der Ukraine

Die Ukrainer*innen wären zu sehr schmerzhaften Kompromissen bereit, glaubt unsere Korrespondentin. Im Osten des Landes seien viele Städte ohnehin dem Erdboden gleichgemacht worden – man würde das Russland auch überlassen. Wenn man sich denn sicher sein könnte, dass Russland nicht weiter vorrückt. Daran glaubten die Menschen in der Ukraine aber nicht – auch aufgrund der Erfahrungen.

"Auf das Wort des russischen Machthabers gibt hier niemand etwas."
Rebecca Barth, ARD-Korrespondentin in der Ukraine

Dass es gleichzeitig noch einen Korruptionsskandal in der Ukraine gibt, in dem hochrangiger Regierungsbeamter sich ausgerechnet in der Energiebranche bereichert haben sollen, enge Vertraute des ukrainischen Präsidenten noch dazu, bezeichnet unsere Korrespondentin als Katastrophe: "Die Regierung Selenskyj hat massiv an Vertrauen eingebüßt."

Mögliche Chancen für ernsthafte Friedensverhandlungen

Welche Optionen gibt es überhaupt noch? Was könnte Putin zu Verhandlungen bewegen? Leslie Schübel von der Körber-Stiftung sieht zwei Möglichkeiten:

  • Entweder eine Veränderung in Russlands Eliten, die für einen starken innenpolitischen Druck auf Putin sorgen
  • Oder, dass der Kreml den Eindruck gewinnt, diesen Krieg militärisch nicht gewinnen zu können
"Die ukrainische Gesellschaft ist unfassbar resilient und Druck von außen eint die Menschen hier."
Rebecca Barth, ARD-Korrespondentin in der Ukraine

Beide Varianten scheinen derzeit aber unrealistisch, zumindest für die nähere Zukunft. Prognosen sind schwierig, sagt Rebecca Barth. Aber: Auch sie selbst habe die Ukraine schon häufiger unterschätzt.

Gut möglich also, dass die Ukraine noch viel mehr Kraft hat, als viele erwarten.

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an unboxingnews@deutschlandradio.de

Shownotes
US-Plan
Wie viel Kraft hat die Ukraine noch?
vom 28. November 2025
Moderator: 
Nik Potthoff
Gesprächspartnerin: 
Rebecca Barth, ARD-Korrespondentin in der Ukraine
Gesprächspartnerin: 
Leslie Schübel, Russland-Expertin bei der Körber-Stiftung