Tierversuche sind umstritten. Dennoch sind sie fester Bestandteil der Forschung, etwa in der Medikamentenentwicklung oder in der Grundlagenforschung. Aber sind Versuche an Tieren überhaupt noch zeitgemäß? Und welche verlässlichen Alternativen gibt es?
Versuche an Mäusen gehören für Neurowissenschaftlerin Rachel Lippert zum Forschungsalltag. Wenn sie an Tieren forscht, muss sie strenge Regeln befolgen und genau begründen, warum ein Tierversuch notwendig ist. Das ist eine Menge Papierarbeit, sagt Rachel Lippert: "Es sind ungefähr 50 Seiten, auf denen ich erklären muss, warum ich diesen Tierversuch machen möchte, und was das für Erkenntnisse für die Gesellschaft bringt."
Forschung an komplexen Organismen
Rachel Lippert will wissen, welche Rolle die mütterliche Ernährung bei der langfristigen Gesundheit und Gehirnentwicklung des Kindes spielt. Ohne Tierversuche wäre ihre Forschung nicht möglich, meint sie.
"Die Komplexität eines gesamten Organismus ist so hoch, wir können das nicht in einzelnen Zellen anschauen."
Gleichzeitig macht die Forschung große Fortschritte bei der Suche nach Alternativen zu Tierversuchen. Denn Versuche an Tieren sind nur eingeschränkt auf den Menschen übertragbar. Und auch aus ethischen Überlegungen würden viele Wissenschaftler*innen lieber heute als morgen auf sie verzichten.
Über die Chancen und Grenzen von Alternativen zu Tierversuchen diskutieren bei der fünften Ausgabe von Wissen unplugged drei Expertinnen und Experten:
- Rachel Lippert ist Leiterin der Nachwuchsgruppe Neuronale Schaltkreise am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke.
- Louise von Stechow ist Biowissenschaftlerin und Expertin für Wissenschaftskommunikation, Beraterin sowie Innovationsscout für die Bereiche Pharma, Biotechnologie und Medizintechnik.
- Peter Loskill ist Professor für “Organ-on-Chip”-Forschung an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Er leitet außerdem das interdisziplinäre OrganoLab und das 3R-Zentrum Tübingen für Alternativen zu Tierversuchen.
Jeder Wissenschaftler, jede Wissenschaftlerin hat eine These mitgebracht.
- These von Rachel Lippert: "Tierversuche sind derzeit noch notwendig, weil andere Technologien die Komplexität des menschlichen Körpers noch nicht abbilden können."
- These von Louise von Stechow: "KI-Modelle reduzieren Tierversuche und machen präklinische Tests ethischer, schneller und prädiktiver."
- These von Peter Loskill: "Unabhängig von den ethischen Fragen zu Tierversuchen, liegt die Zukunft der Biomedizin in In-vitro- und In-silico-Modellen."
Peter Loskill arbeitet mit Computersimulationen und sogenannten "Organ-on-a-Chip"-Modellen. Bei Letzteren werden Miniaturmodelle menschlicher Organe auf einem Träger in Chip-Größe gezüchtet. In der Medikamentenentwicklung lässt sich dabei zum Beispiel beobachten, wie menschliches Gewebe auf Wirkstoffe reagiert.
"Ich glaube, dass wir in Zukunft immer weniger Tierversuche durchführen werden, weil wir neue Ansätze haben, die es uns ermöglichen, Fragestellungen mit einem humanrelevanten Kontext zu beantworten."
Auch Louise von Stechow geht davon aus, dass neue Technologien, wie der Einsatz von KI-Modellen, in bestimmten Forschungsbereichen schon besser funktionieren als Tierversuche.
"KI kann ganz viele Datenquellen mit einbeziehen, kann Daten aus Tierversuchen, Daten aus Menschen, Daten aus 'Origin on a Chip' zusammentun und basierend darauf Vorhersagen machen."
Ob Tierversuche irgendwann einmal unersetzbar werden und in welchen Bereichen es gerade die meisten tierversuchsfreien Alternativen gibt, hört ihr in dieser Sonderfolge "Wissen unplugged" im Hörsaal-Podcast.
"Wissen unplugged" ist eine Veranstaltungsreihe der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS, der Leibniz-Gemeinschaft und Holtzbrinck Berlin in Kooperation mit Deutschlandfunk Nova und ZEIT Campus. Die fünfte Veranstaltung fand am 04. November 2025 in der Hörsaalruine in Berlin statt.
