Seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine sind bisher rund 30.000 Russen nach Georgien ausgereist - dort sind sie allerdings nicht willkommen, weil die russische Regierung dort ähnlich vorgegangen ist wie bei der Krim-Annexion.

Bereits in den 1990er-Jahren bis zum Anfang der 2000er-Jahre sind viele hochqualifizierte Russen aus Russland ausgewandert. Es fand ein sogenannter Braindrain statt, eine Talentabwanderung.

Seit Wladimir Putins Amtsantritt im Jahr 2000 sollen rund 1,6 bis zwei Millionen Menschen das Land verlassen haben.

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine haben rund 30.000 weitere russische Bürgerinnen und Bürger ihrem Land den Rücken gekehrt. Viele scheinen mit der politischen Entwicklung in ihrem Land nicht einverstanden zu sein und sehen dadurch wohl keine Zukunftsperspektive in ihrem Land.

Sie reisen in die benachbarten Länder - viele von ihnen zunächst nach Georgien, zumal sie für die Einreise kein Visum benötigen. Manche versuchen dort zu bleiben, andere nutzen das Land als Zwischenstation. Rund 17.000 Russen sollen bereits wieder aus Georgien ausgereist sein.

"Let’s be clear: If we want equality, let’s do Visa for Russians here and I guess I will have less problems with them."
Zura Balanchivadze, TV-Moderator

Unser Reporter Yannic Hannebohn war kürzlich in Georgien. Er hat sowohl mit jungen Georgiern als auch mit jungen Russen gesprochen. Die Spannung zwischen den russischen Einwanderern und Durchreisenden und den georgischen Bürgern sei deutlich zu spüren, sagt er. In Gesprächen mit Georgiern und Russen sucht Yannic nach den Gründen dafür.

"Ich habe die über Online-Plattformen angeschrieben oder zufällig in den Wohnungen getroffen, in denen ich gewohnt habe, und dann eben mit ihnen gechillt, bin mit ihnen feiern gegangen, immer abwechselnd weil die beiden Gruppen sich tatsächlich überhaupt nicht mischen."
Yannic Hannebohn, Deutschlandfunk Nova

Ein großer Teil des Misstrauens der Georgier gegenüber den einreisenden Russen hängt mit der jüngsten kriegerischen Auseinandersetzung der beiden Länder zusammen: Im Jahr 2008, während des fünftägigen Kaukasuskrieges, hatte Russland Teile Georgiens besetzt.

"Die Georgier haben verständlicherweise überhaupt kein Bock auf Russ*innen, weil der Kreml 2008 – als Russland einen Teil von Georgien militärisch okkupiert hat – genau so vorgegangen ist wie auch schon auf der Krim: Er hat eigene Leute in die Region geschickt, die dann um Hilfe gerufen haben. Dann kam das Militär und hat das Land besetzt bzw. die Landsleute beschützt. Je nachdem welches Narrativ man halt verwenden möchte."
Yannic Hannebohn, Deutschlandfunk Nova

Russische Einwanderer sollen von Übergriffen und Beschimpfungen durch Georgier berichtet haben. Bezahlbaren Wohnraum in Georgien zu finden, sei für Russinnen und Russen schwierig.

"Ich kehre nach Russland nicht zurück, ich werde andere Wege finden. Es gibt natürlich andere Länder, aber ich mag Georgier, ich würde hier bleiben, falls sie mich hier lassen."
Alex, russischer Einwanderer, der in Georgien bleiben möchte

Es soll auch Fälle gegeben haben, in denen georgische Wohnungsbesitzer Russen nach der Bezahlung der Miete nicht in die Wohnung gelassen haben.

Trotzdem ist es für viele Russen wie beispielsweise Alex keine Frage, ob er in Georgien bleiben möchte oder nicht.

Georgische Regierung möchte Nachbarland nicht konfrontieren

Die georgische Regierung beschwichtigt ihre eigenen Bürger und hält sich ansonsten weitgehend aus dem Konflikt heraus, der zwischen der Bevölkerung und den Einwanderern aus dem Nachbarland herrscht.

Yannic hat festgestellt, dass sich Georgien wohl nicht traue, Russland in dem Maße zu boykottieren, wie Deutschland das jetzt beispielsweise mit Russland macht. Ein Indiz: In Tiflis sind noch überall Yandex-Fahrzeuge zu sehen seien, das russische Pendant zu Uber.

Shownotes
Flucht und Braindrain
Russen ziehen nach Georgien, doch dort sind sie wenig erwünscht
vom 22. März 2022
Moderation: 
Paulus Müller
Gesprächspartner: 
Yannic Hannebohn, Deutschlandfunk Nova