Im Gazastreifen leidet jeder fünfte Mensch an extremem Hunger. Lebensmittel sind rar. Fatima Khudair, die in Gaza lebt, hat Angst um das Leben ihrer kleinen Töchter. Sie arbeitet dort für das UN-Welternährungsprogramm und erlebt immer wieder, wie Menschen kollabieren.
Die Verzweiflung ist bei vielen Menschen im Gazastreifen sehr groß: Seit März hat Israel über elf Wochen lang die Lieferung von Hilfsgütern blockiert. Von einem auf den anderen Tag sind statt 600 Lkw-Ladungen gar keine mehr in den Gazastreifen gelangt.
Nun werden israelischen Berichten zufolge wieder 100-Lkw-Lieferungen pro Tag zugelassen, allerdings ist selbst das noch viel zu wenig, sagt Jan-Christoph Kitzler, ARD-Korrespondent in Tel Aviv.
"Wir haben versucht, einen Vorrat anzulegen. Was noch übrig ist, sind ein paar Konservendosen, ein Kilo Weizenmehl und etwas Gemüse, das wir auf dem Markt kaufen."
Besonders schlimm ist die Lage für Menschen, die zusätzlich ihre Kinder versorgen müssen. Wie viele Bewohner*innen des Gazastreifens hat auch Fatima Khudair sich mit Vorräten vorgesorgt, erzählt sie. Von denen sei aber kaum noch etwas übrig. Was es noch auf Märkten zu kaufen gebe, könnten sich die meisten nicht leisten. Fatima und ihre Familie seien dazu finanziell in der Lage, aber die Lebensmittel würden dort zu irrsinnigen Preisen verkauft.
Gaza: Angst um die Kinder
Fatima hat zwei Kinder und bangt um ihr Leben. Die junge Mutter macht sich große Sorgen darum, wie sie Essen für ihre zwei- und vierjährige Tochter zubereiten soll, erzählt sie. Dass Lkw wieder durchgelassen werden, davon habe sie nichts mitbekommen – in ihrer Gegend sei nichts angekommen.
"Ich bin erschöpft und ausgelaugt. Ich habe genug von diesem Leben, in dem wir ums Überleben kämpfen. Es ist wirklich härter, als ich es beschreiben kann."
Sie fühlt sich kraftlos, sagt sie, und wünscht sich sehnlichst, dass sich die Situation bald verbessert. Sie sei es leid, wegzulaufen und dieses Leben zu führen, in dem sie andauernd ums Überleben kämpfen muss.
Fatima ist im Gazastreifen aufgewachsen, ursprünglich kommt sie aus Gaza-Stadt. Von dort musste die 28-Jährige mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern aber fliehen. Nun lebt sie ungefähr in der Mitte des Gazastreifens, in der Stadt Deir al-Balah.
"Ich gehöre zu den Glücklichen, denn ich wohne jetzt an einem Ort, der nicht völlig zerstört ist. 70 Prozent der Straßen sind zerstört, die Gebäude sind eingestürzt."
Fatima arbeitet in Gaza für das UN-Welternährungsprogramm. Sie kann zurzeit aber nicht zur Arbeit gehen, weil die Blocks und Gebiete um sie herum im Visier des Militärs sind oder evakuiert werden, erklärt sie. Deswegen arbeite sie von ihrem jetzigen Zuhause aus.
"Wir können uns nicht frei bewegen und ich persönlich fühle mich nicht wohl dabei, draußen herumzulaufen. Also arbeite ich von meinem Zimmer im Gästehaus des World Food Programme aus."
Das, was die Menschen am Leben halte, sei Hoffnung sagt die Palästinenserin – die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und darauf, dass vielleicht ein Wunder passiert, zum Beispiel ein Waffenstillstand oder ein Friedensabkommen. Und sie betont, wie wichtig es sei, dass Menschen ihre Solidarität zeigen – egal ob bei Protesten oder in den Sozialen Medien.
Wochenlanges Warten auf Hilfe
Die Lage in Gaza ist dramatisch, sagt auch unser Korrespondent Jan-Christoph Kitzler. Die Bewohner des Gazastreifens müssen bereits seit elf Wochen auf Lebensmittel und humanitäre Hilfe warten. Er hat viele Kontakte im Gazastreifen, die ihn mit aktuellen Informationen versorgen. Denn Zutritt zum Gazastreifen erhält er nicht, höchstens in Begleitung des Militärs.
"Die Menschen im Gazastreifen sind hauptsächlich damit beschäftigt, zu überleben. Das heißt: Sie müssen etwas zu essen bekommen. Sie müssen sehen, dass sie Wasser bekommen. Sie müssen irgendwie gesund bleiben."
Der israelische Premierministers Netanjahu hat erklärt, dass nur das das absolute Minimum an Hilfslieferungen nach Gaza reingelassen werden solle, ergänzt er – "zynisch" findet er das. Und vermutlich geschehe auch das wohl nur wegen des großen internationalen Drucks.
Hilfsgüterverteilung an vielen Orten zu gefährlich
Problematisch sei zudem die Verteilung der Hilfsgüter: Die Vereinten Nationen gaben beispielsweise bekannt, dass sie gerade nicht die Möglichkeit hätten, die gelieferten Lebensmittel und Gegenstände sicher zu verteilen, erzählt unser Korrespondent. Mitarbeitende könnten laut UN nicht ohne Weiteres durch die Region fahren. Ab dem Wochenende solle nun eine private Firma aus den USA Verteilzentren betreiben.
"Am Montag kamen 5 Lkw rein, Dienstag dann 93 und gestern noch mal um die 100. Das ist viel zu wenig , wenn man das vergleicht mit den im Schnitt 600 Lkws, die vor der totalen Blockade jeden Tag reingekommen sind."
Die israelische Regierung verbreitet zwar Bilder von Hilfslieferungen, berichtet Jan-Christoph Kitzler, allerdings erhalte nur der Süden Gazas humanitäre Hilfe. Er vermutet, dass die israelischen Machthaber damit erreichen wollen, dass die Menschen in den Süden fliehen, um sie dann möglicherweise nicht wieder in den Norden zurückzulassen.
"Im Norden, wo auch noch hunderttausende Menschen leben, da kommt nichts an. Was anderes ist auch nicht geplant, denn die Menschen von dort sollen tatsächlich weg. Das ist Ziel der israelischen Militärstrategie."
Nicht allein die schlechte Versorgung ist katastrophal für die Menschen. Vergangene Woche hat Israel auch wieder militärische Offensiven aufgenommen: Luftangriffe, Bodentruppen. Mehr Menschen fliehen deshalb aus bestimmten Gebieten.
Ziel der israelischen Regierung: Entvölkerung des Nordens Gazas
Das Ziel der israelischen Regierung sei es, den Norden zu entvölkern, damit israelische Siedler dorthin ziehen können, erklärt der ARD-Korrespondent. Die Besiedlungspläne der israelischen Regierung würden sich an den Vorschlägen des US-Präsidenten Trump orientieren. Heißt: massenhafte Vertreibung von Menschen aus dem Gebiet und die Errichtung einer sogenannten "Riviera des Nahen Ostens", wie Trump es nennt.
Die Befreiung der israelischen Geiseln ist für Israels Premier Benjamin Netanjahu erklärtermaßen nicht mehr oberste Priorität. Und Israel plant, so lange weiter anzugreifen, bis die Terrorgruppe Hamas besiegt ist, sagt Jan-Christoph Kitzler.
Für Menschen wie Fatima Khudair und ihre Familie gibt es deshalb aktuell nur wenig Hoffnung auf eine baldige Waffenruhe und eine Verbesserung der Lage.
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