Schon während der Sowjetzeit war Singen wichtig für die Menschen in Estland. 1990 löste es sich in der Singenden Revolution von der Sowjetunion. Bis heute ist Gesang ein wichtiger Ausdruck des Nationalbewusstseins.
Alle fünf Jahre findet in Estland das Liederfest statt. Aber es ist nicht irgendein Liederfest, sondern eines, an dem viele tausend Menschen teilnehmen und mindestens ebenso viele zuhören. Die Chöre bestehen aus bis zu 25.000 Sängerinnen und Sängern, die Lieder von Heimat, Stolz und Selbstbewusstsein der estnischen Nation singen. Das hat Tradition, denn solche Liederfeste gibt es mindestens seit 1836.
"Das gemeinsame Singen in Estland hat seit langer Zeit eine enge Verbindung mit nationaler Identität und nationalen Zugehörigkeitsgefühls."
Estlands bewegte Geschichte unter wechselnder Herrschaft
Damals trafen sich Estinnen und Esten und drückten ihre Verbundenheit mit dem Land aus, in dem sie lebten. Das war so etwas wie das Erwachen des Nationalbewusstseins.
Estland hatte eine bewegte Geschichte hinter sich, war seit 1583 erst unter polnisch-litauischer, dann – ab 1639 – unter schwedischer und anschließend von 1710 bis 1918 unter der Herrschaft des russischen Zaren. Staatliche Unabhängigkeit gab es nur zwischen 1918 und 1940, bis das gesamte Baltikum durch den "Hitler-Stalin-Pakt" vom August 1939 der Sowjetunion zugeschlagen wurde.
Die Öffnung Estlands zum Westen und Demokratie
Während des Zerfalls der Sowjetunion erklären die baltischen Staaten schnell ihre Unabhängigkeit. In Estland singen zigtausend Menschen öffentlich von Freiheit und ihrer Nation. Sie überwinden so die Angst vor einem militärischen Eingreifen der noch existierenden UdSSR und sie gewinnen. Estland strebt nach Westen, öffnet sich für eine liberale, demokratische Gesellschaftsform und wandelt sich in kurzer Zeit zu einem modernen postkommunistischen Staat, der sowohl der EU als auch der NATO angehört.

Aber so modern der Staat auch ist: Die Traditionen, die Lieder, die Tänze und die Trachten spielen eine große Rolle im gesellschaftlichen Leben der Menschen in Estland. Das Liederfest erinnert an die Tradition des Singens und an die erfolgreiche "singende Revolution" von 1990.
Ihr hört außerdem in Eine Stunde History:
- Der Baltikum-Experte David Feest vom Kieler Nordost-Institut erläutert die Bedeutung des Singens während der Herrschaft der Sowjetunion
- Der Berliner Historiker und Nordeuropa-Experte Ralph Tuchtenhagen beschreibt das Nationalbewusstsein in Estland und die enge Verbindung zu Finnland
- Der Historiker Karsten Brüggemann von der Tallinn University beschäftigt sich mit Estland an der Nahstelle Russischen Föderation
- Der Deutschlandfunk-Nova-Geschichtsexperte Dr. Matthias von Hellfeld blickt zurück auf die Geschichte Estlands und die ersten Liederfeste
- Deutschlandfunk Nova-Reporterin Veronika von Borries erinnert an die "Singende Revolution der Esten im Jahr 1990
- David Feest
- Ralph Tuchtenhagen
- Karsten Brüggemann