Glaube kann uns Halt und Sinn geben, das kann auch für eine Therapie hilfreich sein. Doch wenn religiöse Regeln sehr rigide sind – wie zum Beispiel in puncto Sexualität –, kann das bei Betroffenen zu einer Identitätskrise führen.

Bastian Willenborg erlebt immer wieder: Glaube spielt im Leben vieler Menschen eine große Rolle. Das gehe so weit, dass es inzwischen die Empfehlung gibt, eine spirituelle Anamnese zu Beginn einer Therapie zu machen, erklärt der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. So könnten Therapeut*in besser verstehen, inwiefern Patient*innen sich an ihren Glauben gebunden fühlen und wie sehr der Glaube und die damit einhergehenden Vorgaben das Selbstbild und persönliche Entscheidungen beeinflussen.

Glaube als zweischneidiges Schwert

In jedem Fall, so Bastian Willenborgs Beobachtung, kann sich Glaube positiv auf die Therapie auswirken, weil Gläubige oft eine positive Haltung zum Leben mitbringen und Sinnhaftigkeit für sie wichtig ist. Insofern sei Religion und Glaube tatsächlich eine Ressource, die man auch in der Therapie nutzen sollte.

"Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die gläubig sind, eher daran glauben, dass Psychotherapie hilft."
Bastian Willenborg, Facharzt für Psychotherapie und Psychiatrie

Nicht zu unterschätzen seien zudem die Menschen, die eine Gemeinschaft oder Gemeinde ja ausmachen. Vor allem für Menschen, die durch Trauer und Verlust gehen oder diejenigen, die unter Einsamkeit leiden, könne eine feste Gruppe an Menschen, die dieselben Werte hat wie wir, uns das Gefühl von Zugehörigkeit geben. Und genau diese soziale Einbindung fehlt vielen Menschen heutzutage, sagt der Therapeut.

"Ich glaube nicht, dass der Mensch zwingend Glauben braucht, aber Hoffnung zu haben, dass Dinge besser werden, ist auf jeden Fall hilfreich."
Bastian Willenborg, Facharzt für Psychotherapie und Psychiatrie

Eine pauschale Antwort, ob Glaube eine Ressource oder eine Einengung, ein Hindernis bedeuten, ist laut Bastian Willenborg nicht möglich. Was für ihn jedoch feststeht, ist, dass Glaube nicht unterschätzt werden sollte – als Quelle für Kraft und Halt oder aber als Faktor für Selbstzweifel und Leid.

Shownotes
Psyche und Religion
Glaube in der Therapie: mal Kraftquelle, mal Hindernis
vom 27. April 2025
Moderation: 
Nik Potthoff
Gesprächspartner: 
Bastian Willenborg, Facharzt für Psychotherapie und Psychiatrie