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Etwas mitgehen lassen, eine Lüge erzählen – ganz oft erstmal kein Problem. Wir finden schließlich gute Gründe für unser Verhalten. Und trotzdem: Irgendwann macht sich das schlechte Gewissen breit und unser Selbstbetrug funktioniert nicht mehr.

Nicole ist Anfang 20 und in Pompeji zu Besuch. Da liegt zwar viel Schutt, aber auch viel Keramik und Mosaiksteine. Sie beschließt, sich ein Andenken mit in ihre Heimat nach Kanada zu nehmen. Aber irgendwann wird ihr schlechtes Gewissen zu groß und sie schickt die Sachen wieder zurück – 15 Jahre später.

Oft spontane Handlungen

Oft hält das schlechte Gewissen zwar nicht so lange an, das Gefühl werden aber die meisten von uns kennen. Kein Wunder, meint Psychotherapeut Holger Kuntze. Ein schlechtes Gewissen entsteht dann, wenn wir spontan handeln. Denn dann ist unser Gehirnzustand ein anderer.

"Wir folgen spontanen Eingebungen, die wir in Handlungen überführen und merken Tage später, dass wir das mit unseren inneren Werten nicht vereinbaren können."
Holger Kuntze, Psychotherapeut und Buchautor

Das schlechte Gewissen entsteht, weil unsere Handlungen nicht mit unseren inneren Werten übereinstimmen. Das ist das Problem bei spontanen Handlungen: Dabei denken wir nicht rational, wir wägen nicht ab. "Das übernehmen in so einer Situation bestimmte Mechanismen in unserem Gehirn, die ohne lange Beratungen stellvertretend für uns oft sehr schnelle Urteile fällen", erklärt Deutschlandfunk-Nova-Reporter Mathias von Lieben.

"Wir bestehen aus einer Vielzahl von Identitäten. Deshalb kann es sein, dass wir mit der Identität des Überschwänglichen etwas tun, was wir dann später mit der Identität des reflexiv Betrachtenden als falsch einordnen."
Holger Kuntze, Psychotherapeut und Buchautor

Denn unsere Persönlichkeit ist nicht einheitlich – vielmehr bestehen wir aus unterschiedlichen Identitäten, die je nach Situation zum Tragen kommen können.

Im Schlafzustand ist unsere Hirnaktivität geringer, das heißt unser Gehirn kann nicht spontan reagieren. Im Wachzustand sieht das anders aus: Reaktionen auf Gefühle wie Freude oder Angst haben dann nichts mit einer reflexiven Gehirnaktivität im Großhirn zu tun, sagt Mathias von Lieben. Das Ergebnis: Wir handeln spontan.

Gefahrenzentrum legt Ratio lahm

Dabei wird von unserem Gefahrenzentrum im limbischen System eine Stammhirnaktivität ausgelöst. Unsere ganzen Zuordnungskräfte von Reflexion und Einordnung sind dann wie weggeblasen, erklärt Holger Kuntze. Nach der akuten Situation ist dieser Zustand wieder aufgehoben und wir können rational überlegen – das führt dann zum schlechten Gewissen.

"Ein schlechtes Gewissen wird zum Dauerstress für den Körper. Deswegen ist das Bedürfnis aus seinem schlechten Gewissen herauszukommen, auch physiologisch und neurologisch notwendig."
Holger Kuntze, Psychotherapeut und Buchautor

Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Verdrängen oder den Fehler eingestehen und rückgängig machen. Verdrängung und Selbstbetrug mag eine Zeit lang zwar funktionieren, oft lässt sich das schlechte Gewissen aber kaum aushalten und wir wollen den Zustand beenden.

Das ist auch notwendig, sagt Holger Kuntze. Denn: Das schlechte Gewissen ist ein Dauerstress für unseren Körper – und dafür ist er nicht gemacht.

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

Shownotes
Psychologie
Unser Gewissen, der größte Feind des Selbstbetrugs
vom 12. Oktober 2020
Autor: 
Mathias von Lieben, Deutschlandfunk Nova