Das Telefon klingelt, die Kollegin nervt und der nächste Videocall steht auch schon an. Stress pur. In solchen Situationen sind wir laut Forschenden schneller gereizt. Und das ist gar nicht ungewöhnlich.
Ein Team von Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftlern aus Italien hat sich in einer Studie genauer mit dem Thema Selbstbeherrschung in Stresssituationen beschäftigt. Veröffentlicht wurde sie jetzt im Fachmagazin PNAS. Das Ergebnis: Es mangelt Menschen in solchen Momenten an Impulskontrolle. "Normalerweise kontrollieren wir unsere Impulse, wir geben uns nicht instinktiv jedem Reiz hin, sondern wir überlegen erstmal welche Konsequenzen dieses Verhalten hätte und passen dann unser Verhalten dementsprechend an", erklärt Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Meike Rosenplänter.
Bei Leuten, die gestresst sind, ist das Gehirn aber so ausgelastet mit dem, was es gerade tut, dass ihnen im übertragenen Sinne die Sicherung rausfliegt und sie impulsiv handeln.
Was bei Stress im Gehirn passiert
Herausgefunden hat das Forschungsteam dies in Experimenten, in denen das Verhalten von knapp 450 Personen getestet wurde. Den Probanden wurden verschiedene Spiele gegeben, bei denen sie sehr gefordert wurden. In einer Situation waren sie ein*e Diktator*in und mussten ganz viele Entscheidungen treffen.
Bei einer anderen Simulation ging es darum, wie Geld aufgeteilt wird. Bei einer Gruppe wurde zusätzlich die Hirnaktivität der Testpersonen aufgezeichnet. Die Spiele waren so angelegt, dass die Forschenden auch testen konnten, wie sozial sich die Probanden verhalten, zum Beispiel in Bezug auf Kooperation und Fairness.
Der Unterschied zwischen den beiden Test-Gruppen bestand darin: Die eine Gruppe wurde, was die Selbstkontrolle angeht, ziemlich gefordert. Die andere Gruppe hatte zwar dieselben Spiele, von den Teilnehmenden wurde aber nicht so viel Selbstbeherrschung verlangt. Festgestellt wurde dann ein Unterschied in den jeweiligen Gehirnen. Bei den gestressteren Testpersonen kam es irgendwann zu einer Art Standby-Modus.
"Das Gehirn war bei denen, deren Selbstbeherrschung auf die Probe gestellt wurde, irgendwann tatsächlich überlastet und ist in einen schlafähnlichen Zustand gefallen, obwohl die Testpersonen wach waren."
Das konnten die Forschenden an langsamen Gehirnwellen erkennen. "Und besonders betroffen waren davon Bereiche im Frontal- und Temporallappen des Gehirns, die für die Entscheidungsfindung und die Impulskontrolle wichtig sind", erklärt Meike Rosenplänter. Wenn die Leute dann weitergespielt haben, waren ihre Entscheidungen oft nicht mehr so sozial und tendenziell feindseliger.
Und wenn sie sich in einer Konfliktsituation entscheiden konnten, ob sie das friedlich lösen wollen oder nicht, dann haben sie sich eher für die aggressive Variante entschieden. Bei den Testpersonen, die sich bei den Spielen nicht so beherrschen mussten, war das nicht der Fall.
Schlafähnlicher Zustand nach spätestens 45 Minuten Stress
Bei der Studie kam raus, dass das Gehirn in Stresssituation nach spätestens 45 Minuten in den Standby-Modus geht. Wobei das individuell unterschiedlich ist. Da beziehen sie sich die Forschenden auch auf frühere Studien zu dem Thema und sagen: Das Limit liegt in der Regel zwischen zehn und 45 Minuten. Und es hängt vermutlich auch nicht nur von der Dauer der Stresssituation ab, sondern auch von der Intensität.