"Die Vergangenheit ist wie eine verscharrte Leiche, die nur als Zombie in Form von Talkshows oder Quizshows zu uns zurückkehrt", sagt Andrea Hanna Hünniger. Sie ist fünf, als die Mauer fällt. An die DDR kann sie sich nicht erinnern. Aber woran sie sich danach erinnert, ist definitiv anders als das, was die Medien an Bildern zeigen.

Nach dem Mauerfall haben viele einen Haken an die DDR gemacht. Nur zum Tag der Deutschen Einheit wird der Mantel des Schweigens gelüftet. Dann lebt die DDR in Reportagen, Dokumentation und körnigen Fernsehbildern. Ein westdeutscher Siegeszug, der alles zum Besseren gewendet hat - Wende eben.

Die Bilder, an die sich Andrea Hanna Hünniger erinnert, sind ganz andere. Sie verlebt ihre Jugend in einer Art Übergangszeit in Weimar. Die DDR hat sie bewusst nicht mehr erlebt. Trotzdem haftet ihr der Geruch des Zonenkindes an. Mit ihren Eltern kann sie kaum über die DDR-Vergangenheit sprechen, die haben ganz andere Probleme. In ihrem Buch "Das Paradies. Meine Jugend nach der Mauer" zeichnet sie das Bild einer Jugend zwischen einer Heimat, die es nicht mehr gibt und einem Land, das sie noch nicht kennt.

Externer Inhalt

Hier geht es zu einem externen Inhalt eines Anbieters wie Twitter, Facebook, Instagram o.ä. Wenn Ihr diesen Inhalt ladet, werden personenbezogene Daten an diese Plattform und eventuell weitere Dritte übertragen. Mehr Informationen findet Ihr in unseren  Datenschutzbestimmungen.

Die Scham der Eltern

Während Andrea Hanna Hünniger die Wende mit kindlicher Neugier als Abenteuer erlebt, ziehen sich ihre Eltern zurück. Das Land, das sie kannten, die Ideologie, der sie folgten - alles weg. Der Vater zieht sich aufs Sofa zurück und hört auf zu reden. Die Mutter, eine studierte Agrarwissenschaftlerin, die ein eigenes Institut hatte, steht plötzlich vor dem Nichts - oder besser gesagt: auf dem Arbeitsamt. Dort waren die Mitarbeiter einigermaßen überrascht, dass die Frauen wirklich arbeiten wollten.

Oft muss Andrea Hanna Hünniger mit aufs Arbeitsamt. Sie und ihre beiden Geschwister müssen schließlich betreut werden. Dort erlebt sie, wie plötzlich die Arbeitskraft ihrer Mutter, einer klugen, kompetenten und gut ausgebildeten Frau, nichts mehr wert ist.

"Da rumzusitzen und zu warten und zu sehen, wie die Frauen, die dort saßen, behandelt werden, das macht mich bis heute wütend und da krieg ich ne Gänsehaut, wenn ich daran denke."
Andrea Hanna Hünniger, Journalistin

Mit der DDR sterben auch die Eltern ein Stück

Neben kindlichem Glück über bunte Blumenbeete und große Supermärkten, erlebt Andrea Hanna Hünniger nicht nur die Wende zum Guten, sondern auch die Schattenseiten des Zusammenbruchs. Ihr Vater wird depressiv, die Stimmung in der Familie ist düster und Andrea Hanna Hünniger bekommt Albträume. Mit sieben Jahren landet sie in der Jugendpsychiatrie - stellvertretend für die Probleme, die ihre Eltern nicht lösen können.

"Ich hab das Gefühl, dass es vielen Eltern so geht, als wären sie ein Mal gestorben. Als gäb's so einen ganz, ganz krassen Einschnitt und als müssten sie bei null wieder anfangen."
Andrea Hanna Hünniger, Journalistin

Die Vergangenheit der Eltern

Mit ihrem Buch will Andrea Hanna Hünniger eine andere Seite der Wende zeigen, eine Ost-Perspektive sozusagen. Eben das, was die Medien nur selten zeigen. Und das erste Mal spricht sie auch mit ihren Eltern über deren Erlebnisse und Gedanken zur Wende. Dabei erfährt sie das erste Mal auch Details über die Vergangenheit ihres Vaters. Eine wichtige Erfahrung, sagt sie. Denn nur so kann sie und können wir verstehen, was wirklich passiert ist. Und das geht eben nicht mit den Heldengeschichten über die Deutsche Einheit, sondern vor allem mit den Geschichten über das Scheitern und die Gescheiterten.

"Ich erzähl hier nicht diese Heldengeschichten, die wir schon kennen. Sie erklären uns nicht mehr, was wirklich passiert ist. Es hat für mich keinen Moment der Wahrheit mehr, wenn ich das Feuerwerk am Brandenburger Tor sehe. Das ist für mich wie die Eröffnung von Disney Land Paris."
Andrea Hanna Hünniger will keine Heldengeschichten mehr

Tag der Deutschen Einheit:

Die dritte Generation | Die DDR aus der Sicht der Wendekinder