Der drängende Wunsch, den Job wechseln zu wollen, hatte in den USA in den vergangenen zwei Jahren eine große Kündigungswelle hervorgerufen. Dieser Trend scheint nun auch in Deutschland angekommen zu sein.
Ines Banghard ist 33 Jahre alt. Sie ist eine von vielen, die im vergangenen Jahr ernsthaft in Erwägung gezogen haben, den sicheren Job an den Nagel zu hängen: Der Grund: Wenig Wertschätzung durch den Arbeitgeber und am Ende des Arbeitstages das Gefühl großer Unzufriedenheit.
"The big quit"
Ines ist eine von 41 Prozent Beschäftigten weltweit gewesen, die im vergangenen Jahr über eine Kündigung nachgedacht haben - so der Work Trend Index von Microsoft. In den USA haben so viele dem Chef die Kündigung vorgelegt wie seit 20 Jahren nicht. "The big quit" nennen Experten die US-amerikanische Kündigungswelle seit dem Beginn der Corona-Pandemie.
"Diese Homeoffice-Zeit hat mir super gut getan, weil ich die Zeit hatte, mich gründlich zu reflektieren, nämlich: Was ist der Sinn meines Lebens? Macht mich das, was ich aktuell tue, glücklich? Habe ich einen Effekt auf die Gesellschaft? Die erschreckende, aber ehrliche Antwort war: Nein."
Hierzulande habe bisher wohl die Sorge vor der Unsicherheit in der Pandemie, Arbeitnehmende davon abgehalten, massenhaften den Job zu wechseln, sagt Oliver Stettes vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Er glaubt, dass Menschen, die lange im Homeoffice gearbeitet haben, aber von ihrem Arbeitgeber nicht die Erlaubnis erhalten, das weiterhin zu tun, sich fragen könnten, ob dieser Job noch zu ihnen passt, sagt der Wirtschaftsexperte. Oliver Stettes nimmt an, dass der Trend des Big Quit sich auch bald in Deutschland zeigen wird.
Eine Studie zeigt,...
- dass 52 Prozent kündigen, weil sie die Wertschätzung von ihrer Führungskraft vermissen.
- 51 Prozent gehen, weil sie sich nicht zugehörig zum Unternehmen fühlen.
Diese Daten hat die Unternehmensberatung Mckinsey im vergangenen Herbst ermittelt, unter anderem in den USA, Großbritannien und Singapur.
Vor allem die fehlende Übereinstimmung zwischen der Zukunftsperspektive des Unternehmens und der des Arbeitnehmenden, hält die Studienautorin Angelika Reich für einen wichtigen Aspekt. Ein Muster zeige sich besonders deutlich: Die Mitarbeitenden legen viel mehr Wert auf beziehungsorientierte und wertgetriebene Faktoren und weniger auf die Vergütung.
Der Wunsch, weiterhin autonom arbeiten zu können
Selbst zu entscheiden, wann und wo wir arbeiten und damit ein Stück weit das Gefühl zu haben, autonom zu sein: Dieses Gefühl, für viele prägend während der Corona-Pandemie, will laut Studie kaum einer der Befragten mehr missen. Besonders den Millenials, also die Mitte-20- der bis Mitte-40-Jährigen, gelingt es unter diesen Bedingungen auch, leichter Familie und Job zu koordinieren.
Laut der Mckinsey-Studie haben 36 Prozent der Arbeitnehmenden gekündigt, ohne bereits einen neuen Job in Aussicht zu haben, vor allem in den krisengebeutelten Branchen wie der Gastronomie und dem Gesundheitswesen.
Ein Rekordhoch an offenen Stellen gibt es derzeit beispielsweise auch in der Bauwirtschaft und dem gesamten Mint-Bereich: Mint steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik. Hier herrscht seit Jahren Fachkräftemangel.
Arbeitsmarkt dreht sich zugunsten der Arbeitnehmenden
Zudem erreichen immer mehr Menschen, die der Generation der sogenannten Babyboomer zuzuordnen sind, das Rentenalter. Die Zahl der Menschen, die in den Ruhestand gehen wird, ist vergleichsweise höher als die der Jobsuchenden der nachfolgenden Generation. Die Unternehmen werden sich demzufolge künftig mehr Gedanken darüber machen müssen, welche Arbeitsbedingungen sie bieten müssen, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein.
Das sei für Jobsuchende ein Grund zu Optimismus, sagt der Arbeitsmarktexperte Oliver Stettes: "Das ist zwar kein Wunschkonzert, aber man muss sich einfach bewusst machen, dass sich die Arbeitsmarktlage so gedreht hat, dass die Beschäftigten auf die begünstigte Seite des Marktes geraten. Und das ist eine völlig neue Entwicklung und eine große Herausforderung für die Unternehmen.“