Das Massenaussterben von Landwirbeltieren nimmt schneller zu als gedacht. Das haben Forschende in einer neuen Studie herausgefunden und schlagen Alarm. Auch unser Leben ist davon betroffen, wenn Ökosysteme sterben.
Jede Spezies auf dieser Erde ist einzigartig und spielt eine wichtige Rolle in unserem Ökosystem. Doch das ist laut einer neuen Studie deutlich bedrohter als bisher gedacht. Bereits vor fünf Jahren kam ein Team von der Uni Stanford und weiteren Institutionen zu dem Schluss, dass auf der Erde gerade das sechste Massenaussterben der Geschichte abläuft.
Nach der neuen Studie gehen die Forschenden davon aus, dass ein Fünftel aller Spezies in der Mitte dieses Jahrhunderts vom Aussterben bedroht sein wird. Dadurch könnte sich das Leben auf diesem Planeten – auch für den Menschen – dramatisch verändern, warnen sie.
100 statt 10.000 Jahre
Für die Studie haben die Forschenden Zahlen von 29.700 Landwirbeltieren analysiert und herausgefunden, dass seit 1900 mehr als 540 Spezies und damit 1,7 Prozent aller existierenden Landwirbeltiere ausgestorben sind. Die Prozentzahl von 1,7 mag zwar gering klingen, man muss sie allerdings in Relation setzen, sagt Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Sabrina Loi.
Denn laut den Forschenden hätte das Aussterben von 540 Spezies bei einem normalen Evolutionsverlauf 10.000 Jahre statt nur 100 Jahre gedauert. Unter "normalem" Verlauf verstehen die Forschenden hierbei eine Entwicklung ohne durch den Menschen verursachtes Massenaussterben.
"Sie schreiben, dass es im normalen Verlauf der Evolution 10.000 Jahre gedauert hätte, bis 540 Spezies verschwinden. Jetzt passiert das Ganze aber in gerade einmal 100 Jahren."
Dass in so kurzer Zeit 540 Spezies aussterben konnten, führen die Forschenden darauf zurück, dass die Tiere in einem gemeinsamen Ökosystem leben, in dem das Aussterben von Arten auch Einfluss auf die Entwicklung anderer Arten hat, erklärt Sabrina Loi. Es entsteht also eine Art Kettenreaktion. Deshalb gehen die Forschenden auch davon aus, dass in den kommenden zwei Jahrzehnten noch einmal genauso viele Spezies aussterben werden.
Menschen tragen große Mitschuld
Für das jetzige Massenaussterben haben wir Menschen einen Großteil der Verantwortung zu tragen, sagt Sabrina Loi. Vor allem die Ausbreitung unseres Lebensraums durch beispielsweise landwirtschaftlich genutzte Flächen oder Raubbau hat eine starke Verkleinerung der Lebensräume der Tiere nach sich gezogen.
"Vor allem die Ausbreitung der Menschen hat einen starken Einfluss: Wir nehmen den Tieren Lebensraum weg, zum Beispiel auch durch landwirtschaftlich genutzte Flächen, durch Raubbau."
Auch die Umweltverschmutzung, der Klimawandel und der Wildtierhandel tragen zum Massenaussterben bei. Zusätzlich ist auch das Einführen fremder Arten, die dann mit den ursprünglich einheimischen Tieren um Futter oder Lebensraum konkurrieren, ein Auslöser, sagt Sabrina Loi.
Auch für uns Menschen gefährlich
Dass sich die Natur – wie bereits nach den vorherigen fünf Massenaussterben – nach langer Zeit erholen wird, ist wahrscheinlich. Die Frage ist allerdings auch, was das Massenaussterben mit uns Menschen macht, denn auch wir sind von einem funktionierenden Ökosystem abhängig. Auch für uns wird es irgendwann schwer werden, auf einem Planeten mit vielen zusammengebrochenen Ökosystemen zu überleben, sagt Sabrina Loi.
"Wir werden Mühe haben, auf einem Planeten mit vielen zusammengebrochenen Ökosystemen selbst zu überleben, denn letztlich sind wir Teil des Systems."
Die drei Forschenden empfehlen deshalb, dass dringend Maßnahmen ergriffen werden müssen, um das Massenaussterben aufzuhalten.
20 Jahre Handlungsspielraum
Am wichtigsten sei es, den Wildtierhandel mit einem globalen und verbindlichen Abkommen so schnell wie möglich einzustellen. Außerdem müsste der Artenschutz auf nationaler Ebene eine höhere Priorität erhalten und dementsprechend alles getan werden, was nötig sei.
Für die Forschenden steht fest: Was wir in den kommenden 20 Jahren unternehmen, um das aktuelle Massenaussterben aufzuhalten, wird das Schicksal von Millionen von Arten bestimmen – unsere eigene Art eingeschlossen.
Ab 1000 Exemplaren "vom Aussterben bedroht"
Derzeit sind auf der Welt 515 Landwirbeltierarten vom Aussterben bedroht. "Vom Aussterben bedroht" bedeutet, dass es von einer Tierart weniger als 1000 Exemplare gibt - bei vielen auf der Liste sind es bereits deutlich weniger.
"Bei 515 Arten existieren heute noch weniger als 1000 Exemplare, größtenteils sogar deutlich weniger."
Die meisten vom Aussterben bedrohten Tiere derzeit sind Vögel, die auch zu den Landwirbeltieren zählen. Auch das Sumatra-Nashorn, der Buntbock aus Südafrika und der Stummelfrosch aus Mittelamerika gehören zu den bedrohten Arten.
Laut der Studie leben die meisten dieser 515 bedrohten Arten in tropischen oder subtropischen Gebieten, in denen der Mensch stark eingegriffen hat, fast ein Drittel davon in Südamerika.