DDR, Mauerfall, Wiedervereinigung: All das kennt Fanny, 27, nur aus Erzählungen. Dennoch ist ihre ostdeutsche Identität für sie nach wie vor wichtig. Sie erzählt, warum das so ist. Und wir fragen, ob es vielen aus der Gen Z so geht.
Bis zum dritten Lebensjahr hat Fanny in Thüringen gelebt. Dann ist die Familie nach Schwarzenbach in Oberfranken im Norden Bayerns gezogen. Dort ging sie dann auch zur Schule. Sie lebt bis heute in der Region. Die 27-jährige Ärztin macht ihre Facharztausbildung im Bereich Allgemeinmedizin. Sie nimmt deutlich wahr, dass sich daran, wie über die ostdeutschen Bundesländer und Regionen gesprochen wird, seit ihrer Schulzeit kaum etwas geändert hat.
Einheitlichkeit als Problem
Der Osten wird als Einheit behandelt: "Das wird immer unter dem Begriff subsumiert und nicht wirklich differenziert. Das ist das, was eigentlich gleichgeblieben ist." Das Bild von Ostdeutschland sei in den Geschichtsbüchern recht einheitlich gewesen: Ostblockhäuser, graubrauner Putz, unbefestigte Straßen und Gehsteige.
"Wenn jemand einen starken thüringischen oder sächsischen Dialekt hat, dann wird oft gesagt: Oh Gott, das kann man sich ja gar nicht anhören."
Fanny bezeichnet sich als "mehr oder weniger Zugezogene". Ihre familiären Wurzeln in Thüringen sind für sie identitätsstiftend, sagt sie. Sie hat die frühe Kindergartenzeit dort verbracht, häufig die Großeltern besucht und auch die Hälfte der Familie ihres Mannes ist thüringisch.
Spuren regionaler Identitäten
Heute ist die ehemalige innerdeutsche Grenze für sie recht nah und das Einzugsgebiet ihrer Praxis groß. Sie hat beruflich mit Patientinnen und Patienten aus Thüringen und Sachsen zu tun.
"Ich verstehe mich auch als Thüringerin, die hier in Oberfranken aufgewachsen ist und mittlerweile auch lebt und arbeitet."
Fanny hat das Gefühl, dass in den Geschichtsbüchern, die sie als Schülerin verwendet hat, kaum Menschen aus Ostdeutschland zu Wort gekommen sind. Diese wurden in eine Opferrolle gesteckt, sagt sie. Zuletzt ist Fanny die vereinfachende Ost-West-Trennung auf Deutschlandkarten mit den Ergebnissen der Bundestagswahl begegnet – dann verbunden mit dem Thema Rechtsextremismus: "Ostdeutschland blau und der Rest Deutschlands schwarz dargestellt."
Emanzipation als Unterschied
Ein Unterschied, den Fanny wirklich im Rückblick benennt ist, dass die Rolle der Frau bezogen auf ihre Familie eine andere war als in weiten Teilen der oberfränkischen Umgebung. "Meine Mama arbeitet oder hat immer gearbeitet", sagt Fanny und: "Meine Mutter erzählt, dass das für Verwunderung gesorgt hat, dass sie zwei kleine Kinder hat und trotzdem arbeitet."
Der Soziologe Daniel Kubiak findet es auffällig, dass sich die Anfragen, die er um den Tag der Deutschen Einheit bekommt, stets mit Ostdeutschland und den Ostdeutschen beschäftigen.
Er arbeitet am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung und vermutet: "Wenn ich sagen würde: Lasst uns doch über die Westdeutschen reden, dann weiß ich, dass ich sofort Widerspruch bekommen und mir gesagt wird: Aber die Westdeutschen gibt es doch gar nicht."
Schon dieser Umstand zeige, dass Westdeutschland als Norm wahrgenommen werde. "Es ist schon interessant, warum wir gleichzeitig in den letzten 35 Jahren viel weniger in Frage gestellt haben, ob es die Ostdeutschen gibt."
"Das Westdeutsche gibt es ja in der Form nicht, aber das Westdeutsche wird als die Norm wahrgenommen."
Statt mit der vielfach bemühten Metapher das Zusammenwachsen zweier Gesellschaften zu feiern, sei es hilfreicher, die Vielfalt des Ergebnisses dieser gesellschaftlichen Transformation mit einem Tag der deutschen Vielfalt zu begehen.
"Ich plädiere für den Tag der deutschen Vielfalt, weil ich glaube, das würde vieles einfacher machen."
Eine ziemlich vielfältige deutsche Gesellschaft habe doch in den vergangenen rund 35 Jahren seit der Wiedervereinigung eine ganze Reihe großer gemeinsamer Veränderungen durchlaufen. Der Soziologe nennt schlaglichthaft: die Diskussion um den Klimawandel, den Abbau der Atomkraftwerke, den Kohleausstieg, die Existenz und Allgegenwart von Smartphones, das Zusammenrücken des Schengen-Raums.
"Deutschland ist historisch und heute – noch viel mehr als jemals – ein sehr vielfältiges Land."
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