Während in Deutschland noch nicht einmal die digitale Patientenakte richtig umgesetzt wurde, legt die EU-Kommission jetzt einen Gesetzesentwurf vor, der den digitalen Austausch von Gesundheitsdaten ermöglichen soll. Kritik kommt von Datenschützer*innen.
Die Idee ist folgende: Ärztinnen und Ärzte sollen bei uns, aber auch im Ausland digital auf unsere Gesundheitsdaten zugreifen können. Angenommen, wir werden im Urlaub krank oder haben einen Unfall, dann könnte mit der Freigabe zentral gespeicherter Daten schneller auf Infos über den Gesundheitszustand zugegriffen und eine Diagnose gestellt werden. Doch es schließt sich die Frage an, wie die Idee umgesetzt werden könnte, wenn wir in Deutschland noch nicht einmal die digitale Patientenakte haben.
Der Plan von EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides ist es, einen einheitlichen europäischen Gesundheitsdatenraum zu schaffen. Patientinnen und Patienten könnten in Zukunft so ihre Krankengeschichte, Laborergebnisse und andere Daten von ihrem Smartphone aus einsehen.
Damit das klappt will die EU ein einheitliches europäisches Format für alle gesundheitsrelevanten Daten schaffen, eine Datenformat nur für Gesundheitsdaten. Das Projekt will sich die EU rund 800 Millionen Euro kosten lassen.
Vorteile einer digitalen Krankenakte
Ähnlich läuft es bereits ja bereits mit dem digitalen Corona-Impfpass, den wir in Geschäften, auf Reisen und Restaurants vorzeigen konnten – anstelle des alten Impfausweises aus Papier.
Für Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Martina Schulte liegen die Vorteile einer digitalen Krankenakte auf der Hand: "Ein Beispiel: Wenn ein Portugiese während seines Frankreich-Urlaubs erkrankt, könnte man mit den vorhandenen Informationen schneller die passenden Medikamente finden."
"Das Teilen der Gesundheitsgeschichte mit verschiedenen Einrichtungen aus dem Gesundheitswesen hat Vorteile."
Martina ist überzeugt, dass sich Ärzt*innen europaweit über Krankheiten austauschen könnten – Forschende, Institutionen könnten europaweit auf die Gesundheitsdaten zugreifen und möglicherweise so die gesundheitliche Versorgung verbessern.
Der Datenschutz sei gewährleistet, Patientinnen und Patienten hätten weiter die volle Kontrolle über ihre Daten, heißt es von den Initiator*innen. Demnach könne man selbst entscheiden, welche Daten man teilen wolle.
Gefahr besteht, dass Personen identifiziert werden
Wenn Forscher*innen auf Datenpools zugreifen wollen, sollen sie eine Extra-Erlaubnis dafür beantragen müssen, sagt Reporterin Martina Schulte. Ob der aktuelle Entwurf Datenschutzrechte ausreichend berücksichtigt – daran gibt es jedoch Zweifel. Das Blog netzpolitik.org schreibt zum Beispiel, dass im es im Entwurf heißt, die Daten für Forschungszwecke würden zwar anonymisiert, jedoch bestehe die Gefahr, dass einzelne Personen anhand der Daten identifiziert werden können.
Weitere Kritik gibt es, weil im Entwurf nicht eindeutig formuliert ist, wer Zugriff auf Daten hat. Lobbygruppen wie DigitalEurope fordern zum Beispiel in einem Eintrag bei LinkedIn, dass auch Technologiekonzerne und Pharmafirmen eine Eintrittskarte in den neuen europäischen Gesundheitsraum bekommen sollten.
Eintrittskarte für Pharmaunternehmen in den europäischen Gesundheitsraum
Kritische Stimmen äußern bereits vor der Umsetzung des Vorhabens die Befürchtung, dass es zu einem Datenhandel privater Unternehmen kommen und dass die Vertraulichkeit von Daten verletzt werden könnte.
Dass es so kommt, ist aber noch nicht klar. Denn bevor es zu dem EU-weitem Austausch von Gesundheitsdaten kommt, muss die Kommission den Entwurf erst einmal durchsetzen. Sowohl das EU-Parlament als auch die Mitgliedstaaten müssen zustimmen.
Da einige aber befürchten, dass ihre Entscheidungsmöglichkeiten in der Gesundheitspolitik durch die EU-Vorgaben zu stark beschnitten werden, ist die Zustimmung nicht sicher.
Einheitliche digitale Lösung wäre nötig
Reporterin Martina Schulte hat ein weiteres Argument gegen eine baldige Durchsetzung des Vorhabens. Es stellt sich die Frage, wie realistisch so ein europäischer Gesundheitsraum überhaupt ist: "Dazu müssten alle Nationalstaaten ja erst mal eine einheitliche digitale Lösung finden und die ist nicht in allen EU-Ländern so schnell zu erwarten", erklärt Martina Schulte. Länder wie Deutschland oder Polen sind aktuell im Gesundheitswesen noch ziemlich analog unterwegs.
Die nordeuropäischen Mitgliedstaaten Dänemark, Schweden und Finnland oder Estland hingegen sind schon komplett digitalisiert und haben eigene Standards. Dass jetzt alles auf einen gemeinsamen EU-Standard zu trimmen, der bis 2025 am Start sein soll, wie die EU Kommission wünscht, hält Martina für ziemlich ambitioniert.