Mit den Corona-Impfungen soll erreicht werden, dass eine große Masse an Menschen gegen das Virus immun ist. Wie schnell das geht, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Die Prognose des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn könnte zu optimistisch sein.

Bei der sogenannten Herdenimmunität geht es darum, die Infektionsketten zu durchbrechen. Der Plan: Das neuartige Coronavirus soll nur noch wenige – und möglichst irgendwann niemanden mehr – finden, den oder die es befallen kann.

Voraussetzung: Wissen, wie ansteckend das Virus ist

Dazu muss man zunächst der R-Null-Wert festgestellt werden: Der sagt aus, wie ansteckend ein Virus ist. Die Frage, die dafür beantwortet werden muss, lautet: "Wie viele Menschen würde ein Infizierter im Schnitt anstecken, wenn nichts unternommen wird." Beim Coronavirus ist man bisher davon ausgegangen, dass er bei etwa drei liegt.

Das bedeutet, ein Infizierter oder eine Infizierte steckt drei weitere Menschen an. Das Ziel: Wenn von diesen drei Personen zwei Drittel immun wären, dann könnte sich im Schnitt nur noch ein weiterer Mensch anstecken. Ab diesem Zeitpunkt würde die Zahl der Infizierten zumindest nicht mehr steigen.

"Das tatsächliche Ziel dieser Kampagne ist natürlich die sogenannte Herdenimmunität und die werden wir Richtung Sommer erreichen."
Jens Spahn, Bundesgesundheitsminister

Die Aussage des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn schätzt Matthias Wurms aus der Deutschlandfunk-Nova-Nachrichtenredaktion als ziemlich optimistisch ein.

Der Bundesgesundheitsminister geht davon aus, dass es genügt, wenn zwei Drittel der Menschen in Deutschland geimpft sind. Aber möglicherweise reiche das nicht, sagt Matthias Wurms, weil es noch weitere Faktoren gibt, die für eine Herdenimmunität ausschlaggebend sind.

"So ein Virus will natürlich auch überleben und passt sich an. Und wenn das Virus auf viele immun gewordene Menschen trifft, besteht eine Anpassung eben darin, dass es ansteckender wird."
Matthias Wurms, Deutschlandfunk Nova

Ein Aspekt, der beispielsweise schwer vorherzusagen ist, ist zum Beispiel festzustellen, wie lange eine Person nach einer Impfung oder einer Infektion immun bleibt. Es gibt einige Fälle, in denen sich Menschen in kurzer Zeit ein weiteres Mal angesteckt haben. Diejenigen sind dann in der Regel selbst nicht erkrankt, aber waren trotzdem ansteckend – zum Teil auch ohne das selbst zu wissen.

Theoretisch ist es also vorstellbar, dass die Menschen, die jetzt geimpft werden, bis zum Sommer wieder ansteckend sein oder wieder erkranken könnten.

"In Irland hat sich die Zahl der Neuinfektionen innerhalb kurzer Zeit verzehnfacht."
Matthias Wurms, Deutschlandfunk Nova

Auch mutierte Formen des Virus können erschweren, dass eine Herdenimmunität erreicht wird. Denn wie wir am Beispiel von Großbritannien und der dort grassierenden Virusmutation B117 sehen können, ist diese mutierte Variante von Sars-CoV-2 deutlich ansteckender.

Impfungen können dazu führen, das Mutationen noch häufiger auftreten

Und solche Mutationen könnten sich mit den Impfungen noch mal verstärken. Denn wenn das Virus auf viele immun gewordene Menschen trifft, besteht eine mögliche Anpassung darin, dass das Virus ansteckender wird, um verbleibende, empfängliche Menschen infizieren zu können.

Durch ein ansteckenderes Virus erhöht sich der R-Null-Wert

Der R-Null-Wert wäre dadurch deutlich erhöht, was eine Herdenimmunität erschweren könnte. Angenommen mit der neuen Variante, die es ja bereits gibt, würden sich – ohne irgendwelche Maßnahmen – nicht drei, sondern fünf Menschen bei einem Infizierten anstecken. Dann müssten schon vier von fünf, also 80 Prozent immun sein, um eine Herdenimmunität zu erreichen.

Wenn sich keine Herdenimmunität einstellt

Lässt sich eine Herdenimmunität nicht etablieren, könnte das dazu führen, dass es immer wieder Ausbrüche gibt. Bei der Infektionskrankheit Masern kommt das beispielsweise vor. Denn die Krankheit ist so ansteckend, dass es sehr schwierig ist, eine Herdenimmunität zu erreichen.

Dass möglichst viele Menschen in der Bevölkerung immun sind, das wir einer Herdenimmunität also so nahe wie möglich kommen, wäre wichtig, um diejenigen bestmöglich zu schützen, die sich selbst nicht impfen lassen können.

Bisher sind das zum Beispiel Kinder, weil es noch keine Daten gibt, wie der Impfstoff bei ihnen wirkt, aber auch Menschen mit Leukämie oder Transplantationen, weil ihr Immunsystem geschwächt ist. Schützen könnte man diese besonders gefährdeten Menschen damit, dass die Menschen in ihrem direkten Umfeld – in erster Linie Pflegekräfte – bereits immun sind.

  • Moderator: Paulus Müller
  • Gesprächspartner: Matthias Wurms, Deutschlandfunk Nova