Für Opfer von Gewalt ist der Lockdown eine extrem belastende Zeit, noch belastender als ohnehin schon. Es gibt Studien, die nahelegen, dass die Gewalt gegen Frauen und Kinder während der Lockdown-Phasen zugenommen hat. Hilfe für die Betroffenen gibt es normalerweise in Frauenhäusern. Doch die sind zum Teil massiv überlastet. Das zeigt eine Recherche von Correktiv.Lokal mit zahlreichen Lokalmedien und BuzzFeed News.
Nach dem ersten Lockdown steigen die Anfragen bei Frauenhäusern
Jedes Jahr suchen rund 30.000 von Gewalt betroffene Frauen und Kinder in deutschen Frauenhäusern Schutz. Dort berichten Mitarbeiterinnen unabhängig voneinander, dass besonders nach dem ersten Lockdown – also im Frühjahr und Sommer 2020 – verstärkt Frauen mit ihren Kindern nach Plätzen gefragt hätten. Ihre Erklärung dafür ist, dass es nach dem Lockdown leichter gewesen sei, das Haus zu verlassen als zu der Zeit, als die Frauen mit ihren gewalttätigen Partnern rund um die Uhr unter einem Dach hocken mussten.
Im Rahmen ihrer Recherche zu Frauenhäusern in der Coronazeit hat das Rechercheteam die Auslastung der Frauenhäuser in NRW, Berlin, Bremen, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern analysiert. Die Zahlen basieren auf Meldungen der Frauenhäuser und einer Übersichtskarte der Landesarbeitsgemeinschaft Autonomer Frauenhäuser NRW. Für Frauenhäuser in anderen Bundesländern werden Belegungszahlen laut Correktiv nicht öffentlich gemacht oder es gibt keine aktuelle Statistik.
"Trotz knapper Kapazitäten, die Mitarbeiterinnen in Frauenhäusern betonen, dass sie alles tun, um Frauen in Not zu helfen."
Jonathan Sachse nennt Hessen als Negativbeispiel. Laut dem Leiter der Recherchegruppe sind dort in den letzten drei Monaten an elf Tagen alle Frauenhäuser belegt gewesen, auch an den Weihnachtsfeiertagen.
Egal, wie man rechnet: mehrere Tausend Plätze fehlen
Im Rahmen ihrer Recherche hat das Journalistenteam die Anzahl der Plätze in Frauenhäusern mit Empfehlungen des Europarates verglichen. Laut denen sollte auf 7.500 Einwohner ein Platz im Frauenhaus kommen. Dieses Ziel erreichen in Deutschland einzig die Stadtstaaten Berlin und Bremen. Das geht aus den Zahlen der angefragten Bundesländer hervor.
"Es ist nicht die Regel, aber es gibt auch Betroffene, die auf Anhieb keinen Platz im Frauenhaus finden."
Insgesamt fehlen laut Correctiv 4.000 Plätze. Jonathan Sachse gibt aber zu bedenken, dass es unterschiedliche Arten der Berechnung gibt. Vertreter der Frauenhäuser sprechen deutschlandweit von 14.000 fehlenden Plätzen.
Telefonnummer für von Gewalt betroffene Frauen: 08000-116016
Besonders gravierend ist es, wenn hilfesuchenden Frauen und Kindern kein Schutz gewährt werden kann, zum Beispiel weil die Häuser überfüllt sind. Dabei betont Jonathan Sachse, dass von den Frauenhäusern alles getan werde, um die Betroffenen unterzubringen. Eine Recherche von BuzzFeed News habe aber konkret gezeigt, dass das eben nicht immer möglich ist. So habe eine Betroffene, die zunächst keinen Platz bekommen hat aus verschiedenen Gründen erst ein Jahr nach ihrem ersten Gesuch einen Platz im Frauenhaus erhalten.
Frauenhaus: in der Pandemie ein besonders schwieriger Arbeitsplatz
Die Arbeit und das Leben in den Frauenhäusern gestaltet sich in der Coronazeit schwierig. Dazu gehört die Einhaltung des Hygienekonzeptes. Bei vielen Menschen, die auf engem Raum zusammen sind, sei das eine Herausforderung. Außerdem kritisieren die Frauenhäuser, dass sie nicht einmal Corona-Schnelltests finanziert bekommen. Auch bei Impfungen gehörten die Mitarbeiterinnen in den Frauenhäusern nicht zu den bevorzugten Gruppen.
Von politischer Seite aus, erzählt Jonathan Sachse zum Abschluss, ist aber wohl finanzielle Unterstützung geplant. Nach seinen Informationen will das Bundesfamilienministerium 120 Millionen Euro für die Förderung von Hilfseinrichtungen zur Verfügung stellen, darunter auch für neue Frauenhäuser. Erste Auszahlungen habe es schon im vergangenen Jahr gegeben. In den Frauenhäusern, so die Mitarbeiterinnen, sei diese Hilfe noch nicht spürbar.
"Unsere Daten zeigen, dass Deutschland sich nicht an die Konvention hält, laut der geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und Mädchen bekämpft werden soll."
Auch Jonathan Sachse zeigt sich ernüchtert. Die Ergebnisse
seines Teams hätten nicht nur ergeben, dass Deutschland zu wenige Plätze für Hilfesuchende habe. Die Analyse mache auch klar, dass Deutschland sich nicht an die unterzeichnete Istanbul-Konvention halte, wonach geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und Mädchen bekämpft werden solle. "Unsere Daten zeigen, dass das nicht der Fall ist."
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