Unsere Gesellschaft ist gespalten - das merkt man spätestens beim Thema Flüchtlinge. Die Zeit der Harmonie und weitgehenden Einigkeit scheint passé. Was macht das mit unserer Gesellschaft? Und mit unserer Art zu diskutieren?
Geburtstag der Tante: die Familie sitzt am Kaffeetisch und DRadio-Wissen Reporterin Rahel Klein mampft lieber Schoko-Torte in sich hinein, als mit dem Onkel zu reden. Denn der hat in der Vergangenheit AfD gewählt. Würde sie das Thema ansprechen, ahnt sie, träte sie sofort eine unangenehme Diskussionslawine los.
Streit um den "Common Sense"
Bei Themen wie der Flüchtlingskrise scheint es in Deutschland so etwas wie einen "Common Sense" nicht mehr zu geben. Mit ihrer vorübergehenden Vermeidungsstrategie in Sachen Diskussion ist Rahel allerdings nicht allein, bemerkt sie in ihrem Freundeskreis.
"Wenn man bei dem Thema anderer Meinung ist, kommt es selten zum konstruktiven Gedankenaustausch. Es endet meistens damit, dass man entweder als 'Gutmensch' oder als 'Nazi' bezeichnet wird. Dazwischen gibt es irgendwie nichts."
In den USA spricht man von "Divided Nation". Eine krasse Spaltung von konservativen Republikanern auf der einen und liberalen Demokraten auf der anderen Seite. Nur, so deutlich wie im aktuellen Wahlkampf zeigt sich diese Spaltung selten.
Tilman Mayer, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn sagt, diese Art der amerikanischen Gesellschaft funktioniere dadurch, dass gewisse Tabus in der Regel nicht angesprochen werden - einfach, um das gesellschaftliche Gefüge in Balance zu halten. "Die Kehrseite der Konsensgesellschaft ist, dass sie stark die Gemeinsamkeit herausstellen will und den Streit, der eigentlich zur politischen Kultur dazugehört, negativ sieht."
Der Philosoph und Autor Christian Schüle setzt dem eine Forderung nach mehr Mut entgegen: Ist das Risiko einer Uneinigkeit wirklich so groß? Ist ein nur scheinbarer Konsens tatsächlich so erstrebenswert? Er sagt: "Dann zerstreiten wir uns halt einfach mal". Denn vielleicht bietet erst das die Möglichkeit, sich argumentativ auseinander zusetzen: "Bei jedem Streit ist es so, dass man irgendwann den Punkt erreicht, wo man sich wieder einigermaßen abgekühlt hat. Dann guckt man sich die Sachen einfach mal an."
"Ich sehe das als eine gute Sache. Als eine Revitalisierung von Demokratie, dass Menschen auf die Straßen gehen. Dass sie sagen 'Ich denke so und du denkst so, wir müssen uns miteinander auseinandersetzen'. Endlich mal wieder"
Um sich eine Meinung zu bilden und andere zu verstehen, braucht es oft den Streit. Auch wenn es anstrengend wird, an den Nerven zerrt, sich miteinander auseinander zu setzen.
Eine Zutat muss es allerdings geben, damit es einen echten Diskurs gibt, sagt der Politikwissenschaftler Mayer: einen Grundkonsens über die Werte unserer Verfassung.
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