Im Bundestag sitzen zurzeit 709 Abgeordnete. Regulär sollen es knapp 600 sein. Nach der kommenden Wahl könnten es aber sogar 800 werden. Für die Arbeitsfähigkeit ist das schlecht, so Thorsten Faas. Außerdem wünscht sich der Politologe ein Wahlrecht, dass endlich verständlicher ist.

Dass der Bundestag nach der Wahl größer wird, davon ist auch Thorsten Faas überzeugt, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Dass es 1000 Abgeordnete werden, wie manche prophezeien, das hält er aber für unwahrscheinlich. Seine Prognose: Das Parlament könnte auf 800 bis 850 Mitglieder anwachsen.

Eigentlich beträgt die reguläre Mindestanzahl der Sitze im Bundestag 598. Dazu gehören 299 Abgeordnete, die direkt in den Wahlkreisen gewählt werden (bei der Bundestagswahl mit der Erst-Stimme ). Die gleiche Anzahl an Abgeordneten zieht über die Landeslisten der Parteien in den Bundestag ein – wären da nicht Überhang- und Ausgleichsmandate. Aber dazu gleich mehr.

Im neuen Bundestag könnten über 800 Abgeordnete sitzen

Per se ist es nicht falsch, wenn mehr Abgeordnete im Bundestag sitzen, so Thorsten Faas. Sie könnten dann mehr Menschen repräsentieren. Doch dagegen steht die Arbeitsfähigkeit des Bundestages. "Viel Arbeit im Bundestag findet in sehr kleinen Ausschüssen statt. Mit einer sehr intensiven Arbeitsatmosphäre", sagt der Wissenschaftler. Doch die Ausschüsse werden proportional mit dem Anwachsen des Bundestages größer. Der Arbeitsfähigkeit würde das schaden.

Überhangmandate: kompliziert und problematisch

Dass der Bundestag diesmal erneut wachsen könnte, liegt vor allem an der CSU. Die Partei liegt in den bundesweiten Umfragen zur Bundestagswahl bei rund fünf Prozent, aber in Bayern wird sie viele Wahlkreise direkt gewinnen. "In den Wahlkreisen bleibt sie in Bayern die stärkste Kraft", sagt Thorsten Faas. "Das führt zu einem Ungleichgewicht." Denn Erst- und Zweitstimme liegen dann auseinander. "Das lässt sich nur durch einen Ausgleich korrigieren. Und Ausgleich heißt: Der Bundestag wird groß."

"Das 'Problem' scheint diesmal die CSU zu werden. Denn die schwächelt in den Umfragen."
Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin

Der Ausgleich erfolgt durch Überhang- und Ausgleichsmandate, die den Bundestag anwachsen lassen. Überhangmandate kommen zustande, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate erringt, als ihr dort nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Das trifft eben auf die CSU zu. Damit es für die anderen Parteien gerecht bleibt, bekommen sie wiederum Sitze dazu: Das sind die Ausgleichsmandate. Denn am Ende soll die Größe der Fraktionen im Bundestag dem Anteil der Zweitstimmen entsprechen.

Eine echte Wahlrechtsreform gab es nicht

Um die Sitze im Bundestag zu begrenzen, könnte die Zahl der Wahlkreise reduziert werden. Statt 299 könnten es 250 sein. Damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sehr viele Überhangmandate entstehen, so Thorsten Faas. Doch die Regierung konnte sich lediglich darauf verständigen, dass es 280 Wahlkreise geben wird. Aber auch erst ab der nächsten Wahl 2025.

"Weniger Wahlkreise bedeuten, dass die Wahrscheinlichkeit vieler Überhangmandate etwas reduziert wird. Damit würde der Bundestag kleiner."
Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin

Dass der Bundestag diesmal extrem anwachsen könnte, könnte immerhin dazu führen, dass in der nächsten Legislaturperiode eine umfangreichere Wahlrechtsreform angepackt wird, so Thorsten Faas. Das sei auch nötig. Denn das Wahlrecht sei sehr komplex.

"Wir sollten schon verstehen können, wie unsere Stimmen in den Bundestag und die dort vergebenen Sitzen verrechnet und übersetzt werden."
Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin
Denn wenige verstehen tatsächlich, was Überhang- und Ausgleichsmandate bedeuten und wie die Zusammensetzung des Bundestags genau funktioniert.

Shownotes
Überhang- und Ausgleichsmandate
Kompliziertes Wahlrecht: Der Bundestag wird größer
vom 17. September 2021
Moderatorin: 
Diane Hielscher
Gesprächspartner: 
Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin