Recep Tayyip Erdoğan oder Kemal Kılıçdaroğlu? Mittels einer Stichwahl wird der nächste türkische Präsident bestimmt. Eine besonders schwierige Wahl, findet der Journalist Erkan Arikan.

Am Sonntag, den 28.05.223, wählen türkische Bürgerinnen und Bürger ihren Präsidenten (Stand 27.05.2023). Weder Recep Tayyip Erdoğan (AKP) noch Kemal Kılıçdaroğlu (CHP) haben bei der Präsidentschaftswahl am 14.05.2023 eine absolute Mehrheit der Stimmen erreicht. Je nach Zählung lag der amtierende Präsident Recep Tayyip Erdoğan Mitte Mai noch 4,6 Prozentpunkte oder 4,2 Prozentpunkte vor seinem Konkurrenten.

"Der Vorteil liegt eindeutig bei Recep Tayyip Erdoğan. Denn er hat eine absolut megamäßige mediale Kampagne."
Erkan Arikan, Türkei-Redaktion der Deutschen Welle

Präsident Recep Tayyip Erdoğan verfehlte in der ersten Runde die Mehrheit nur knapp – um weniger als einen Prozentpunkt. Er geht auch deswegen als Favorit in die Stichwahl. Erkan Arikan, Leiter der Türkei-Redaktion der Deutschen Welle, weist außerdem auf Erdoğans überwältigende mediale Präsenz hin. Kemal Kılıçdaroğlu sei auf der digitalen Ebene, in den sogenannten sozialen Medien besser aufgestellt.

Mobilisierungseffekte für Erdoğan

Rund fünf Millionen Menschen können erstmals an einer Stichwahl teilnehmen. Bei jungen Wähler*innen ist Erdogan allerdings weniger beliebt – insbesondere bei Wähler*innen unter 25 Jahren in Deutschland. Insgesamt sind rund 64 Millionen Menschen wahlberechtigt – davon rund 3,2 Millionen im Ausland und davon wiederum rund 1,5 Millionen in Deutschland.

Erkan Arikan geht davon aus, dass gut die Hälfte davon bei der Stichwahl abstimmen wird – mehrheitlich für Erdoğan. Er sagt: "Ich befürchte, dass von den 1,5 Millionen Wahlberechtigten fünf bis zehn Prozent mehr hingehen, wir eine Wahlbeteiligung von 50 bis 55 Prozent haben."

Konzentration auf Geflüchtete

Erkan Arikan findet beide Kandidaten problematisch. In den rund zwanzig vergangenen Jahren von Erdoğans Präsidentschaft habe sich die Türkei in Richtung Autokratie entwickelt. Dazu gehören die systematische Einschränkung der Pressefreiheit, gravierende Einschränkungen der Grundrechte. Der Journalist weist außerdem darauf hin, dass Recep Tayyip Erdoğan im Wahlkampf vielfach angekündigt hat, den sogenannten Flüchtlingsdeal mit der Europäischen Union neu zu verhandeln.

"Mittlerweile habe ich den Eindruck, als wenn wir die Auswahl zwischen Pest und Cholera hätten – ehrlich gesagt es ist unbeschreiblich."
Erkan Arikan, Türkei-Redaktion der Deutschen Welle

Kemal Kılıçdaroğlu habe das zwar auch angekündigt, wolle aber immerhin das erdoğansche Präsidialsystem wieder abschaffen. Schlimm sei, dass sich der CHP-Kandidat immer mehr auf die Flüchtlinge konzentriere. "Kılıçdaroğlu hat eine Zahl von 10, Millionen Flüchtlingen in den Raum geworfen, die keiner so bestätigen kann", berichtet Erkan Arikan. Führe der Gegenkandidat diesen politischen Kurs fort, schade er massiv seiner eigenen Glaubwürdigkeit.

"Kılıçdaroğlu verliert enorm an seiner Glaubwürdigkeit, wenn er sich zu sehr mit den extrem rechten Nationalisten zusammentut, zu einer richtigen Allianz."
Erkan Arikan, Türkei-Redaktion der Deutschen Welle
Shownotes
Stichwahl in der Türkei
Journalist Erkan Arikan: Auswahl zwischen Pest und Cholera
vom 27. Mai 2023
Moderation: 
Thilo Jahn
Gesprächspartner: 
Erkan Arikan, Türkei-Redaktion der Deutschen Welle