Seit 2015 dokumentiert ein EU-Projekt russischsprachige Falschinformationen über Deutschland. Susan Stewart von der Stiftung Wissenschaft und Politik erklärt das russische Vorgehen und welche Ziele damit verbunden sind.

Deutschland ist seit 2015 rund 740 Mal Gegenstand von Falschinformationen russischer Medien gewesen. Innerhalb der EU ist es das mit Abstand am häufigsten von russischer Desinformation betroffene Land. Zu diesem statistischen Ergebnis kommt das EU-Medienprojekt EUvsDisinfo. Es wird vom Auswärtigen Dienst der Europäischen Union finanziert und gehört zu dessen East StratCom Task Force.

"Solche Informationen sollen ein Bild von einem Deutschland malen, das instabil ist, wo zu leben nicht schön ist und im Vergleich also Russland dann eben stabil und attraktiv aussieht."
Susan Stewart, Politologin, Stiftung Wissenschaft und Politik

Die Politologin Susan Stewart sagt, die russische Führung verspreche sich davon zweierlei: Einerseits medialen Schutz für ihr eigenes Vorgehen, andererseits wolle sie zeigen, dass es Deutschland und der EU schlecht geht.

Desinformation und der Fall Nawalny

Intensiviert habe sich die russische Desinformationskampagne wohl auch wegen der medizinischen Behandlung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny. Dabei unterscheidet sie zwei Arten der Desinformation:

  • Erstens: Offizielle Personen sagen etwas Verzerrendes oder Falsches über Deutschland. Beispielsweise wird von russischer Seite verbreitet, Deutschland sei nicht bereit, Informationen in Bezug auf Alexej Nawalny zu liefern. Außenminister Sergej Lawrow bezeichnete die eingegangenen Antworten als unwürdig.

  • Zweitens: Russische Medien, die staatsnah oder staatlich finanziert sind, diskutieren diese Statements über Deutschland von offizieller russischer Seite mit einem gewissen Unterton und ergänzen Informationen aus weiteren Quellen. Motiv der betreffenden russischen Medienschaffenden sei, dass sie denken, das werde von ihnen erwartet.
"Warum das jetzt noch stärker geworden ist, liegt sehr stark an dem Fall von Alexej Nawalny, der hier in Deutschland behandelt wurde."
Susan Stewart, Politologin, Stiftung Wissenschaft und Politik

Der gegenwärtig bekannteste russische Oppositionelle war im August 2020 mit Vergiftungssymptomen in der Berliner Charité versorgt worden. Nachweislich ist er mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok gezielt und mutmaßlich unter Beteiligung des russischen Geheimdienstes angegriffen worden.

Susan Stewart vermutet außerdem den sogenannte Tiergarten-Mord und auch den Cyberangriff auf den Bundestag 2015 als Gründe für die intensivere russische Propaganda- und Desinfomationskampagne.

Problematische russisch-deutsche Themen

Dieser Angriff auf die informationstechnischen Strukturen des Bundestags werde erst seit 2020 höchstwahrscheinlich staatlichen, russischen Angreifenden zugeordnet. Es gebe also einige Fälle zwischen Russland und Deutschland, die sehr problematisch sind. Das habe zu einer starken russischen Reaktion geführt.

Susan Stewart weist auf die je nach Altersgruppe unterschiedliche Mediennutzung in Russland hin. Sie sagt: Zunehmend gebe es auch junge Leute, die diese staatlichen Medien kaum konsumieren, sondern sich auf sozialen Medien informieren, oder über das Internet vielleicht auch Kontakt zu Freunden oder Bekanntschaften im Ausland haben.

"Gerade unter diesen jüngeren Leuten in Russland kommen öfter Zweifel an Falschinformationen auf."
Susan Stewart, Politologin, Stiftung Wissenschaft und Politik

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Shownotes
Politologin zu russischer Desinformation
Russische Falschinformationen - "Andere sollen schwach aussehen"
vom 09. März 2021
Moderator: 
Thilo Jahn
Gesprächspartnerin: 
Susan Stewart, Politologin, Stiftung Wissenschaft und Politik