NS-Opfer, Mitläufer oder Täter in der eigenen Familie? Statt Legenden zu glauben, könnt ihr auch Archive fragen. Unsere Reporterin weiß, wie das geht.

In fast jeder Familie in Deutschland hat der Nationalsozialismus seine Spuren hinterlassen. Doch wie standen die eigenen Vorfahren zum Regime? Eher wenige Menschen interessieren sich konkret dafür, was ihre Eltern, Groß- oder Urgroßeltern während des Nationalsozialismus gemacht haben. Das ist jedenfalls das Ergebnis einer Telefonumfrage, die die Universität Bielefeld durchgeführt hat:

Für die Umfrage mit dem Titel Memo Deutschland (PDF) hat das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung in Bielefeld 1000 Personen zwischen 17 und 93 Jahren angerufen und gebeten, über ihre Erinnerungskultur zu sprechen, berichtet unsere Reporterin Magdalena Bienert. Die Ergebnisse zeigen, dass bei vielen Menschen ein allgemeines Interesse an der NS-Geschichte besteht:

  • Etwa die Hälfte der Interviewten hat ein- oder mehrmals, eine NS-Gedenkstätte besucht.
  • Über 90 Prozent der Befragten nutzen Dokumentar- und Spielfilme als Einstieg in das Thema.
  • Fast 60 Prozent informieren sich online.
Externer Inhalt

Hier geht es zu einem externen Inhalt eines Anbieters wie Twitter, Facebook, Instagram o.ä. Wenn Ihr diesen Inhalt ladet, werden personenbezogene Daten an diese Plattform und eventuell weitere Dritte übertragen. Mehr Informationen findet Ihr in unseren  Datenschutzbestimmungen.

NS-Familiengeschichte: Umdeutung und Verdrängung

Wenn es allerdings um die eigene Familiengeschichte geht, ergibt die Umfrage ein eher einseitiges Bild: In den Familien werden vor allem Geschichten von Opfern und Helfern weitergegeben, so das Ergebnis der Umfrage. Das Wissen um Täter unter den Vorfahren ist vergleichsweise gering.

Die Hälfte der Befragten geht davon aus, dass die Familienmitglieder nicht einmal zu den Mitläufern des NS-Systems gehörten, berichtet Magdalena Bienert. Zwar finden zwei Drittel es sinnvoll, sich mit der NS-Vergangenheit der eigenen Familie zu befassen, aber in der Hälfte der deutschen Familien wird darüber nie oder nur selten gesprochen.

Jonas Rees ist der Projektleiter der Studie. Er weist darauf hin, dass Familiennarrative im NS-Kontext besonders anfällig für Tendenzen der Umdeutung und Verdrängung seien. Er sagt, es gebe deutliche Diskrepanzen zwischen der Wahrnehmung der deutschen Bevölkerung in der NS-Zeit und dem Wissen um die eigene Familiengeschichte.

Zwei Archive, die bei der Spurensuche helfen können:

Das Bundesarchiv: Die Suche dort vor Ort ist grundsätzlich kostenlos. Das Archiv hat eigene Hinweise zur Personen und Ahnenforschung veröffentlicht. Diese können mit Kosten verbunden sein. Grundsätzlich sind die Chancen, über dieses Archiv etwas zu erfahren, bei NS-Opfern höher als bei NS-Tätern. "Wenn sich tatsächlich Material zur gesuchten Person auffinden lässt, könnt ihr euch Kopien schicken lassen oder persönlich ins Bundesarchiv gehen", sagt Magdalena Bienert.

"Sie müssen den Namen, Vornamen und Geburtsdatum kennen. Die Erfolgsaussichten sind unterschiedlich hoch, je nachdem, welche Rolle jemand hatte in der NS-Zeit."
Tobias Herrmann, Pressesprecher des Bundesarchivs

IST: Der International Tracing Service: Das ist ein Archiv und Dokumentationszentrum über die NS-Verfolgung und befreite Überlebende. "Auch hier erfahrt ihr leichter etwas über NS-Opfer", so unsere Reporterin. Über 30 Millionen Dokumente sind in dem Archiv gespeichert. Online kann jeder selbst über eine Suchmaske eine Recherche starten - oder ein Anfrageformular ausfüllen und suchen lassen.

Mehr zum Thema:

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

Shownotes
Familiengeschichte und Nationalsozialismus
War Opa ein Nazi? Archive helfen bei Recherche
vom 12. April 2019
Moderator: 
Thilo Jahn
Gesprächspartnerin: 
Magdalena Bienert, Deutschlandfunk-Nova-Reporterin in Berlin