Im Flüchtlingslager Kara Tepe leben mehr als 2000 Minderjährige. In dem improvisierten Camp auf Lesbos arbeitet die Kinderpsychologin Katrin Glatz-Brubakk. Sie begegnet Kindern, die Angst haben und immer apathischer werden.
Seit 2015 ist Katrin Glatz-Brubakk für Ärzte ohne Grenzen immer wieder auf Lesbos. Sie half im Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos, doch das Lager brannte 2020 komplett nieder. Viele Geflüchtete kamen von Moria nach Kara Tepe – auch als Moria 2.0 bekannt. Dort arbeitet hilft Katrin Glatz-Brubakk zurzeit.
In Kara Tepe gibt es für Kinder einfach nichts
Der Brand des Lagers Moria hatte Folgen für die Familien. Viele Kinder seien traumatisiert, erzählt die Kinderpsychologin. Sie haben Angst vor einem erneuten Brand. Davor, dass ihren Familien etwas passieren kann und sie erneut flüchten müssen. Diese Angst kann Katrin Glatz-Brubakk nicht so einfach nehmen, denn die Sorge, dass es wieder brennen könnte, ist berechtigt.
"Die Kinder in Kara Tepe haben die ganze Zeit Angst. Die ganze Zeit."
Es gibt nicht genügend Strom in Kara Tepe, um alle Zelte zu beheizen. In diesen Monaten ist es aber kalt. "Die Menschen versuchen mit kleinen Stövchen die Zelte warm zu bekommen", sagt Katrin Glatz-Brubakk. Außerdem ist es in den Zelten extrem eng, der Boden ist uneben. Da kann schnell ein Feuer ausbrechen. Immer mal wieder brennt ein Zelt nieder, berichtet sie.
Doch die Kälte ist nur ein Problem. In Kara Tepe gibt es für Kinder keine Schule, keinen Kindergarten, keinen Spielplatz. Der Alltag besteht aus Aufstehen, Schlange stehen für das Frühstück, ziellos herumwandern, wieder Schlange stehen für die nächste Mahlzeit, im Zelt sitzen und warten, beschreibt Katrin Glatz-Brubakk die Situation.
"Ich sehe, wie sehr die Bedingungen im Camp und diese Inhaltslosigkeit die Kinder total zermürben."
"Wir sehen viel häufiger als früher Kinder, die total apathisch werden", sagt die Kinderpsychologin. Zu ihr in die Therapie kommt eine Siebenjährige, die nur noch durch Wimmern kommuniziert. Sie hat aufgehört zu reden und zu spielen; sie sitzt fast den ganzen Tag mit geschlossenen Augen im Zelt, erzählt Katrin Glatz-Brubakk. "Sie hat aufgegeben."
Über Hoffnungen reden und stärken
Dennoch versucht sie in ihrer Arbeit an die Hoffnungen der Kinder anzuknüpfen und diese zu bestärken. Denn sicher ist auch, dass keines der Kinder für immer im Camp bleiben wird. "Wir reden viel mit ihnen über ihre Träume", sagt die Kinderpsychologin. Und dazu gehört zum Beispiel, bald wieder eine Schule zu besuchen. "Die Kinder möchten was lernen, und sie möchten etwas aus ihrem Leben machen", sagt Katrin Glatz-Brubakk.
Auch für die Eltern ist die Situation in Kara Tepe extrem schwierig. Manche fragen sich, ob die Flucht die richtige Entscheidung war. Doch viele hatten keine andere Wahl: Sie waren von Krieg und Gewalt bedroht; teils sind ihre Häuser zerbombt.
Dennoch verzweifeln viele Eltern. "Weil sie nichts für ihre Kinder machen können", sagt Katrin Glatz-Brubakk. "Sie sind in dieser Situation total hilflos."