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Noch nie gab es so lange Frieden in Deutschland wie zurzeit. Krieg und Gewalt, könnte man meinen, gehören der Vergangenheit an oder passieren nur an anderen Orten. Doch unsere zivile Ordnung ist verletzlicher, als wir das vielleicht glauben. Ein Vortrag über Gewalt und Gewaltforschung des Historikers Jan Claas Behrends.

Was sind die Grundlagen für einen dauerhaften Frieden? Wie lassen sich Konflikte zwischen Staaten lösen? Solche Fragen stellt die Friedensforschung. Die Gewaltforschung fragt: Was bringt Menschen dazu, Gewalt anzuwenden? Wie setzen Staaten physische Gewalt als Machtmittel ein? Wie können wir verstehen, wann und warum Gewalt zum Einsatz kommt?

"Was bedeutet das brutale Vorgehen der russischen Armee in Butscha, in Mariupol, in Cherson? Wie können wir es erklären und historisch einordnen? Denn was wir erleben, ist zwar grausam, aber nicht neu."
Jan Claas Behrends, Historiker

Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 erleben wir eine neue Stufe der Gewalt in Europa. Wie können wir das brutale Vorgehen der russischen Armee in Orten wie Butscha, Mariupol und Cherson historisch einordnen? Das fragt der Historiker Jan Claas Behrends in seinem Vortrag. Behrends ist Zeithistoriker. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Osteuropa, Diktaturen in Europa und Gewaltforschung.

"Im Alltag begrenzen unsere sozialen Normen und die Angst vor Strafe, vor allem in funktionierenden Staaten, die ihr Gewaltmonopol durchsetzen können, die Anwendung phyischer Gewalt."
Jan Claas Behrends, Historiker

Die Geschichte Europas, Russlands und der Sowjetunion im 20. Jahrhundert ist von Gewalt geprägt. Was das genau heißt, ist gar nicht so einfach zu beantworten. Historiker und Soziologen haben oft sehr unterschiedliche Begriffe von Gewalt. Jan Claas Behrends greift auf eine enge Definition zurück. Unter Gewalt versteht er in erster Linie physische Gewalt.

"Selbst an Orten, an denen jahrzehntelang Frieden und Sicherheit herrschten, kann die zivile Ordnung relativ schnell zerstört werden. Jede zivile Ordnung existiert nur so lange, wie sie in der Lage ist, sich gegen ihre Gegner zu verteidigen."
Jan Claas Behrends, Historiker

In seinem Vortrag fragt Behrends, wie physische Gewalt unsere zivile Ordnung bedrohen kann. Einem funktionierenden Staat gelingt es, sein Gewaltmonopol durchzusetzen. Doch selbst das bietet keinen vollständigen Schutz vor Gewalt, so Behrends. Es besteht immer die Gefahr, dass einige versuchen, dieses Machtmonopol an sich zu reißen. Auch an Orten, an denen seit Jahrzehnten Frieden herrscht, sollten wir das nicht als selbstverständlich betrachten. Unsere zivile Ordnung kann leicht zerstört werden. Wie es dazu kommen kann, das versucht die zeithistorische Gewaltforschung zu verstehen.

Jan Claas Behrends ist Professor an der Europa-Universität Viadrina, wo er die Professur "Diktatur und Demokratie. Deutschland und Osteuropa von 1914 bis zur Gegenwart" inne hat. Sein Vortrag hat den Titel "Gewaltforschung und Osteuropäische Geschichte. Theoretische und praktische Überlegungen im Angesicht des Krieges." Er hat diesen Vortrag am 19. Dezember 2022 in Frankfurt an der Oder gehalten im Rahmen des Osteuropakolloquiums der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina.

Shownotes
Gewaltforschung
Frieden und unsere zivile Ordnung sind zerbrechlich
vom 17. Februar 2023
Moderatorin: 
Sibylle Salewski
Vortragender: 
Jan Claas Behrends, Historiker, Europa-Universität Viadrina