Heimliches Abhören, Überwachen von Computersystemen und Mobilgeräten, offensive Cybersabotage: Israelische Geheimdienste gelten mit als die besten der Welt – eigentlich, denn die Terrorattacken der Hamas konnten sie offensichtlich nicht verhindern.

Derzeit wird heftig spekuliert warum die israelischen Geheimdienste die terroristischen Angriffe der Hamas auf israelisches Staatsgebiet nicht vorhergesehen und verhindert haben. Medien wie die New York Times, Wired und Washington Post konnten mit Insidern der Sicherheitsdienstszene sprechen. Auch diese sind völlig überrascht und konsterniert.

Denn eigentlich unterhält Israel seinen gewaltigen Überwachungsapparat für genau solche Fälle.

"Jetzt kämpfen wir erst einmal – und danach analysieren wir das."
Israelische Militärführung

Soweit technisch möglich soll jegliche Kommunikation aus den palästinensischen Gebieten abgehört und überwacht werden. Hinzu kommt optische Aufklärung in Form von Grenztürmen und Drohnen.

Außerdem geht man davon aus, dass die israelischen Dienste ein Netz von Informant*innen haben. Doch auch dieses hat anscheinend nicht geholfen, es gab keine konkrete Vorwarnung – und das bei einer Operation der Hamas, die wahrscheinlich monatelange Vorbereitung erforderte und in deren Planung hunderte von Personen involviert waren.

Hamas verwendete "Steinzeit-Kommunikation"

Ein Grund für den Kommunikations-Blackout könnte nach Ansicht von Expert*innen darin liegen, dass die Hamas tatsächlich kommuniziert haben könnte wie in der Steinzeit. Heißt: Botschaften könnten persönlich ausgetauscht und Treffen in Kellergebäuden stattgefunden haben. Denn selbst bei verschlüsselter Kommunikation wäre die Gefahr ansonsten groß gewesen, dass die verwendeten Geräte über Hintertüren vom israelischen Geheimdienst hätten abgehört werden können.

Aber es gibt noch eine zweite Theorie: Die israelischen Dienste könnten mit der Auswertung der Überwachungsdaten schlicht auch überfordert gewesen sein.

Innenpolitische Dimension: Überforderte Geheimdienste?

Viele Expert*innen sprechen von einer plausiblen Spekulation, dass die Geheimdienste durch die innenpolitischen Konflikte in Israel abgelenkt gewesen sein könnten: Seit Monaten demonstrieren israelische Bürger*innen gegen eine Justizreform der Regierung.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geheimdienste, so die Beobachter der Szene, sind fast ausschließlich säkulare und sehr gebildete Leute, die tendenziell in Opposition zur Regierung Netanjahus stehen. Oder zumindest zu dessen Zugeständnissen an die ultra-religiösen und ultra-orthodoxen Parteien, deren Mitglieder ja zum Beispiel auch keinen Militärdienst leisten.

Auch über einen gewissen Brain-Drain aus den Geheimdiensten und dem Militär in Richtung Privatwirtschaft wird spekuliert. Die Beobachter gehen jedenfalls davon aus, dass es zu einem massiven Überdenken der bisherigen Strategie der Geheimdienste kommen wird.

Shownotes
Sicherheit Israels
Israelische Geheimdienste in der Kritik
vom 09. Oktober 2023
Moderator: 
Markus Dichmann
Gesprächspartner: 
Michael Gessat, Deutschlandfunk-Nova-Netzreporter