İbrahim Arslan überlebte als Siebenjähriger den 1992 von Neonazis verübten Brandanschlag in Mölln. Seine Schwester, seine Cousine und seine Großmutter aber wurden durch den Anschlag getötet. Heute fordert İbrahim Arslan: Es muss einen Perspektivwechsel geben – weg von den Tätern, hin zu den Opfern rechter Gewalt und ihren Angehörigen.
Zehn Menschen wurden durch den NSU getötet – neun von ihnen mit migrantischem Hintergrund. Den Angehörigen war schnell klar, dass hinter den Taten ein rassistisches Motiv stecken musste. Ganz anders war es bei den Behörden: Sie ermittelten ausschließlich im Umfeld der Opfer. Bis zur Selbstenttarnung des NSU am 4. November 2011.
"Ich sage nicht nur, dass die Namen der Opfer erzählt werden müssen, sondern auch ihre Geschichten und die ihrer Angehörigen."
İbrahim Arslan hat seine Schwester, seine Cousine und seine Großmutter ebenfalls durch einen Anschlag von Neonazis verloren. Er engagiert sich seit Jahren als Aktivist gegen rechte Gewalt und meint: Die Gesellschaft muss sich mit den Geschichten der Opfer rechter Gewalt auseinandersetzen und versuchen, ihre Perspektive einzunehmen – und nicht die der Täter*innen.
Solidarität kann nur mit Aufmerksamkeit wachsen
Ihm geht es darum, dass das Leid und die Geschichten der Menschen gehört werden, die ihre Angehörigen durch rechtsextreme Täter*innen verloren haben und die im Fall der NSU-Taten elf Jahre lang beschuldigt wurden, obwohl sie Betroffene und nicht Täter*innen waren. Nur wenn sie ihre Geschichten erzählen und die Gesellschaft ihnen zuhört, könne die Solidarität wachsen.
"Wir thematisieren zu oft die Täter*innen und nicht das, was die Betroffenen fordern."
Er kritisiert: Auch heute wird überall das Jubiläum der Selbstentarnung des NSU thematisiert. Gleichzeitig findet aber, seiner Meinung nach, eben auch ein zwanzigjähriges Jubiläum statt. Nämlich das der Stigmatisierung und Kriminalisierung, die die Betroffenen durch die Ermittlungen erlebt haben.
"Ich würde nicht sagen, dass es "Fehler" waren, die den Behörden bei den Ermittlungen unterlaufen sind. Das war struktureller Rassismus."
İbrahim Arslan kritisiert in diesem Zusammenhang auch ganz klar die mediale Berichterstattung. Zum einen weil sie sich ebenfalls oft verstärkt auf die Täter*innen fokussiert. Zum anderen weil sie, seiner Meinung nach, nicht oft genug herausstellen, dass es sich nicht um Fehler der Behörden gehandelt hat, die ihnen zufällig unterlaufen sind – sondern, dass es sich um ein strukturell-rassistisches System handelt.
Gesamtgesellschaftliche Entschuldigung nötig
Nur wenn das auch anerkannt und betitelt wird, könne es eine Entschuldigung geben. Denn die fordert İbrahim Arslan – und zwar sowohl von Justiz als auch von der Politik und der gesamten Gesellschaft. Dazu zähle unter anderem, mit den Angehörigen eine Entschädigung auf Augenhöhe auszuhandeln.
Aber wichtig ist ihm auch: Es muss Räume und Platz geben, diese Geschichten zu erzählen. Denn sie müssen gehört werden. Das ist für die Angehörigen, wie auch er einer ist, wichtig, um mit den Geschehnissen überhaupt umgehen zu können. Es sei aber auch der einzige Weg, Solidarität zu schaffen.
Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de