• Deutschlandfunk App
  • Spotify
  • Apple Podcasts
  • Abonnieren

Michelle mag ihren sächsischen Dialekt, weil sie so am besten ihre Emotionen ausdrücken kann. Trotzdem hat sie ihn sich immer mehr abtrainiert, weil sie viele negative Reaktionen darauf bekommen hat. Wie gehen wir am besten mit so etwas um?

Michelle, 28, ist im sächsischen Chemnitz geboren und aufgewachsen. Für ihr Studium ist sie 2018 nach Marburg in Hessen gezogen. Erst dort ist Michelle ihr Dialekt so richtig bewusst geworden. "Weil ich da von Menschen umgeben war, die kein Sächsisch und größtenteils keinen Dialekt gesprochen haben, weil sie aus verschiedenen Regionen Deutschlands waren", so Michelle.

Wenn dein Dialekt dir unangenehm ist

Sie erinnert sich auch an komische Reaktionen, wenn sie erzählt hat, dass sie aus Chemnitz kommt. "Es gab Situationen, da haben Menschen zum Teil im Scherz meine Aussprache kommentiert. Ich würde sowas nicht machen", sag Michelle. Ihr Dialekt wurde ihr deshalb zunehmend unangenehm und sie hat immer mehr versucht, sich ihn abzugewöhnen.

Michelle, versteckt in bestimmten Situationen ihren sächsischen Dialekt
© Privat
Michelle versteckt in bestimmten Situationen ihren sächsischen Dialekt
"In den Kreisen, in denen ich mich bewegt habe, wurde dieser Herkunftsort Chemnitz bzw. Sachsen immer sehr stark verknüpft mit Rechtsextremismus und diversen Stereotypen über den Osten."
Michelle

Auch heute im Berufsleben hat Michelle mit Menschen aus verschiedenen Regionen Deutschlands oder außerhalb Deutschlands zu tun. Sie spricht dann lieber Hochdeutsch. Das passiert in diesem Kontext dann ganz automatisch, sagt sie.

"Sächsisch ist meine Wohlfühlzone"

Im Grunde fühlt sie sich mit ihrem sächsischen Dialekt aber wohler. "Ich würde schon sagen, dass ich mehr ich selbst bin, wenn ich Dialekt spreche, weil ich dann noch mehr in meiner Wohlfühlzone bin und noch weniger darüber nachdenke, wie ich mich ausdrücke.

"Wenn ich Hochdeutsch spreche, bin ich nicht hundertprozentig derselbe Mensch, wie wenn ich Dialekt spreche."
Michelle

Abgesehen von Gesprächen mit Freunden und Familie in ihrer Heimat, fällt es Michelle im Alltag jedoch schwer, Sächsisch zu sprechen. Weil sie das Gefühl hat, sich lächerlich zu machen.

Dabei gibt es bestimmte Emotionen, die Michelle auf Sächsisch viel besser ausdrücken kann: "Ich finde es leichter, mich im Dialekt aufzuregen. Das ist die Emotion, wo das am stärksten rauskommt. Da habe ich das Gefühl, dass ich authentischer meine Gefühle rauslassen kann, wenn ich nicht darauf achten muss, dass ich Hochdeutsch spreche."

Identität und Dialekt hängen eng zusammen

Dass Menschen insbesondere in emotionalen Situationen auf ihren Dialekt zurückgreifen, hat damit zu tun, dass er stark mit der eigenen Identität verknüpft ist, sagt der Sprachwissenschaftler Mason Wirtz. Er erklärt, dass im deutschsprachigen Raum vor allem Frauen stärker versuchen, sich sprachlich anzupassen, als Männer.

Warum werden bestimmte Dialekte abgewertet?

Die Wissenschaft ist sich nicht ganz sicher, warum einige Dialekte überhaupt abgewertet werden. Mason Wirtz vermutet, dass es möglicherweise an bestimmten Dialekt-Merkmalen liegt, die Menschen schlechter oder besser bewerten.

Eine andere mögliche Erklärung ist, dass bestimmte historische Ereignisse die Sprache beeinflussen – und zwar nicht die Entstehung von Sprachvarianten, sondern auch ihre Wahrnehmung. Dazu gibt es eine regelmäßige Erhebung des Leibnitz-Instituts für Deutsche Sprache. Die letzte stammt aus dem Jahr 2017.

Ein Ergebnis: Die Dialekte, die am häufigsten als "sympathisch" bezeichnet werden, werden gleichzeitig auch am häufigsten als "unsympathisch" wahrgenommen. Dazu gehören etwa Bayrisch, Schwäbisch und Norddeutsch. Sächsisch lag bei den unsympathischen Dialekten deutlich auf Platz eins, bei den sympathischen nur auf Platz fünf.

"Mein Dialekt wurde stärker verknüpft mit Rechtsextremismus."
Michelle

Auch Michelle hat festgestellt, dass sich die Wahrnehmung ihres sächsischen Dialekts mit der Zeit verändert hat. Ihrer Meinung nach hängt das auch mit dem gesellschaftlichen Diskurs und den politischen Entwicklungen in Deutschland zusammen.

Dass Menschen damit begannen, ihren Dialekt stärker abzuwerten, ging etwa zu der Zeit los, als in Dresden die Pegida-Bewegung entstanden ist. "Und generell, als dieses Thema Rechtsextremismus in Sachsen medial größer wurde und als Phänomen im Osten stark diskutiert wurde", sagt Michelle.

Dialekt sprechen, zugehörig fühlen

Vor allem, wenn Michelle bei ihrer Familie ist, spricht sie Sächsisch. Denn der Dialekt hat viel mit der persönlichen Identität zu tun, sagt die Rhetorik- und Aussprachetrainerin Debora Diehl. "Da stecken Sachen drin wie: Wo komme ich her, wo fühle ich mich zugehörig, mein Elternhaus, meine Freundschaften. Wir sollten das nicht negieren. Das gehört einfach zu uns."

"Standarddeutsch", nicht "Hochdeutsch"

Trotzdem legen Menschen wie Michelle ihren Dialekt in einem bestimmten Umfeld ab und sprechen Standarddeutsch. Das ist laut Debora Diehl der Begriff, den die Wissenschaft verwendet – und nicht den Begriff "Hochdeutsch", da er eine Hierarchie impliziert.

Debora Diehl, Rhetorik- und Sprechtrainerin
© Matthias Sasse
Debora Diehl ist Rhetorik- und Aussprachetrainerin

Aus Sicht der Rhetorik- und Aussprachetrainerin sind Menschen, die zwischen ihrem Dialekt und Standarddeutsch hin- und herwechseln, sprachlich sehr kompetent. In gewissen Situationen empfiehlt es sich sogar, den Dialekt abzulegen. Sie nennt als Beispiel Bewerbungsgespräche. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass man in solchen Gesprächen als weniger kompetent wahrgenommen wird, wenn man Dialekt spricht.

"Ich muss mich für meinen Dialekt nicht schämen. Er ist Bestandteil meiner Persönlichkeit."
Debora Diehl, Rhetorik- und Aussprachetrainerin

Gleichzeitig rät Debora Diehl dazu, zum eigenen Dialekt zu stehen und selbstbewusst damit umzugehen. Sie empfiehlt beispielsweise, ihn dort einzusetzen, wo er angemessen und erwünscht ist, damit sich die Person damit wohlfühlt.

Meldet euch!

Ihr könnt das Team von Facts & Feelings über Whatsapp erreichen.

Uns interessiert: Was beschäftigt euch? Habt ihr ein Thema, über das wir unbedingt in der Sendung und im Podcast sprechen sollen?

Schickt uns eine Sprachnachricht oder schreibt uns per 0160-91360852 oder an factsundfeelings@deutschlandradio.de.

Wichtig:
Wenn ihr diese Nummer speichert und uns eine Nachricht schickt, akzeptiert ihr unsere Regeln zum Datenschutz und bei Whatsapp die Datenschutzrichtlinien von Whatsapp.