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Psyche

Immer online: Wir haben Entschleunigung verlernt

Dass wir unser Handy auch mit auf die Toilette nehmen, ist für den Psychotherapeuten Ulrich Schultz-Venrath ein Sinnbild für unsere verlernte Fähigkeit, auch mal abzuschalten. In ihren Vorträgen blicken er und sein Kollege Stephan Herpertz auf eine Gesellschaft zwischen Be- und Entschleunigung und die Folgen für unseren Körper.

Wenn wir am Morgen aufwachen, zur Toilette gehen oder am Ende eines Tages im Bett liegen, ist eine bestimmte Sache bei vielen oft mit dabei: das Handy. Die Auswirkungen der Technik, die wir benutzen auf unseren Körper ist dramatisch, warnt der Psychomediziner- und analytiker Ulrich Schultz-Venrath in seinem Vortrag.

Am Handy Lebenszeit verpuffen lassen

Mehr als vier Stunden täglich hängen wir durchschnittlich am Handy: Das ist wertvolle Lebenszeit, die für direkten menschlichen Kontakt verloren geht und in etlichen Fällen auch zu Krankheiten führt – eine schlechtere Sehkraft im jungen Alter ist ein Beispiel dafür.

Mehr Stress im Alltag

Ein anderer Effekt ist, dass einige von uns immer schneller sprechen. Das resultiert daraus, dass wir möglichst viel in kurzer Zeit erledigen möchten. Der Psychomediziner und -therapeut Stephan Herpertz kennt noch einen viel angenehmeren Arbeitsalltag, als er in den 1980er-Jahren mit seiner Arbeit angefangen hat. Entspannte Dienstbesprechungen oder Kaffeerunden mit Kolleg*innen gehörten dazu.

Heute sind sie aus dem Klinik- und Praxisalltag so gut wie verschwunden. Und nicht nur dort. Wir hetzen und hasten uns durch den Tag – was nicht zwangsläufig an einer höheren Arbeitsdichte liegt, so Stephan Herpertz.

"Beschleunigung schlägt sich für die meisten Menschen in Deutschland sicherlich nicht in einem Mehr an Arbeit nieder."
Stephan Herpertz, Psychomediziner und -therapeut

Noch nicht mal auf dem Klo abschalten

Sein Kollege Ulrich Schultz-Venrath stellt hingegen gleich am Anfang seines Vortrags fest, dass er zwar mittlerweile im Ruhestand ist, aber mehr arbeite als je zuvor. Von Beschleunigung auf Entschleunigung umzuschalten, scheint eine Kunst, die nicht mehr viele beherrschen.

Laut dem Psychoanalytiker nehmen mindestens 75 Prozent der Menschen ihr Handy mit auf die Toilette. Er hält solche Entwicklungen für dramatisch.

"Uns Fachleuten ist vertraut, dass Technik den Körper beeinflusst – und die körperlichen Funktionen."
Ulrich Schultz-Venrath, Psychoanalytiker

Wie wirkt das auf unseren Körper? Ulrich Schultz-Venrath befasst sich in seiner Arbeit mit verschiedenen Modellen, um erkrankten Menschen zu helfen und stellt ein seiner Überzeugung nach sehr erfolgreiches vor.

Die Universitätsklinik Bochum für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe hat am 5. und 6. November 2021 zu einem Symposium unter dem Titel "Beschleunigung und Entschleunigung - immer schneller, immer höher, immer weiter war gestern" eingeladen. Organisiert hat die Tagung Klinik-Direktor Stephan Herpertz. Er selbst führte zunächst in das Thema ein, Ulrich Schultz-Venrath von der Universität Witten-Herdeck, Psychoanalytiker und Arzt folgte auf ihn mit dem Vortrag "On- und Offline? Mentalisieren des Körpers unter Pandemiebedingungen".

Shownotes
Psyche
Immer online: Wir haben Entschleunigung verlernt
vom 01. September 2022
Moderation: 
Hans-Jürgen Bartsch
Vortragender: 
Stephan Herpertz, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin an der Uniklinik Bochum
Vortragender: 
Ulrich Schultz-Venrath, Psychoanalytiker und Arzt, Universität Witten-Herdecke