Tausende Helferinnen und Helfer haben in den vergangenen Tagen in den Katastrophengebieten angepackt. Doch auch Vertreter der verschwörungsideologischen Szene sind vor Ort - um auf Notstände und vermeintliche Beweise ihrer Inhalte aufmerksam zu machen.

Menschen aus allen möglichen Orten haben sich auf den Weg gemacht, um in den von der Katastrophe gebeutelten Gebieten mitanzupacken: Schlamm wegschippen, Essen und Trinken bereitstellen oder spenden. Einige wenige von ihnen haben aber ein erklärtes anderes Ziel: Die Not nutzen, um verschwörungsideologische Inhalte zu verbreiten.

"Tatsächlich kann man eher fragen: Wer ist denn nicht da? Vertreten ist wirklich das Who’s Who der verschwörungsideologischen Szene."
Pia Lamberty, Sozialpsychologin

Pia Lamberty ist Sozialpsychologin und forscht zu Verschwörungsideologien. Sie beobachtet: Einige Vertreterinnen und Vertreter der verschwörungsideologischen Szene sind in den betroffenen Gebieten vor Ort oder generieren über Telegramgruppen Sach- und Geldspenden.

Darunter bekannte Namen der Querdenken-Demos des vergangenen Jahres - etwa der Holocaust-Leugner Nikolai Nerling oder Bodo Schiffmann. Dessen Spendenaktion hat bereits 600.000 Euro (Stand: 21.07.2021) zusammengebracht.

Hilfsangebote werden mit verschwörungsideologischen Inhalten versehen

Das Problem: Über die Hilfsangebote vor Ort oder auch im Netz werden verschwörungsideologische Inhalte mit verteilt. So stehe neben einem Hilfsangebot etwa der Post: "Merkel wurde gewarnt und ließ über 150 Deutsche ertrinken". Das Ziel sei also über benötigte Hilfsangebote auch Verschwörungstheorien zu verbreiten, so die Expertin.

"Ich und andere haben lange gesagt: Es ist zu früh das Ende von "Querdenken" auszurufen - sobald es eine neue Krisensituation gibt, werden sie diese für sich nutzen."
Pia Lamberty, Sozialpsychologin

Mit einer so schlimmen Katastrophe hatte die Expertin zwar nicht gerechnet – wohl aber damit, dass die Vertreterinnen und Vertreter der Querdenken-Szene diese für die Verbreitung ihrer Inhalte gebrauchen würden und das Vakuum nutzen, das eine solche Situation mit sich bringt. Gerade weil sich viele Menschen jetzt allein gelassen fühlen und das Gefühl haben, es wurde nicht früh genug gewarnt, können Querdenker gut auf den Zug mit aufspringen, sagt Pia Lamberty.

Falschmeldungen über Hilfskräfte

Die Vertreterinnen und Vertreter der Szene verbreiten außerdem Falschmeldungen vor Ort. So etwa wurden über die Lautsprecher eines gefälschten Polizeiwagens die Aussage verbreitet, dass Hilfskräfte und Einsatzkräfte der Polizei nun reduziert würden. Auch wurden Videos verbreitet, in denen es aussehen sollte, als sei kaum jemand zur Hilfe angerückt.

"Die Idee, die vermittelt werden soll ist: Wir brauchen den Staat nicht, es braucht nur uns, denn damit ist der Bevölkerung wirklich geholfen."
Pia Lamberty, Sozialpsychologin

Tatsächliche Hilfe leisten zwar auch ein paar der Anhängerinnen und Anhänger der Szene - doch meist diejenigen, die selbst von der Katastrophe betroffen sind. Viele errichten aber auch beispielsweise eine "Kommandozentrale" vor Ort, die sie lediglich dafür nutzen, um aus den Gebieten zu berichten und verschwörungsideologische Narrative zu verbreiten, meint die Expertin.

Darüber hinaus gibt es aber auch solche, die aktiv stören - indem sie etwa versuchen die dringend benötigte Impfkampagne in den Gebieten zu verhindern.

Hauptsache Hilfe - egal von wem?

Für die Betroffenen der Katastrophe zählt jede Hilfe. Der Vorwurf könnte also lauten: Ist doch egal von wem sie kommt. Doch Pia Lamberty sieht das anders. Denn oft sei nicht transparent was etwa mit Spendengeldern passiert.

Einige der Organisationen der verschwörungsideologischen Szene werden vom Verfassungsschutz beobachtet, verbreiten rechtsextremes Gedankengut und nutzen gerade das Argument, dass sie lediglich vor Ort seien um zu helfen. Doch gerade das sei laut der Expertin eben nicht der Fall.

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Shownotes
Unwetterkatastrophe
Wie Querdenker die hilflose Situation für sich nutzbar machen
vom 21. Juli 2021
Moderatorin: 
Jenni Gärtner
Gesprächspartnerin: 
Pia Lamberty, Sozialpsychologin