Vor 100 Jahren fusionieren die wichtigsten deutschen Chemieunternehmen zur IG Farben. Das Vorbild sind US-Konzerne. Wenig später ist der Branchengigant IG Farben tief in die Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt.
Vermutlich ist es ein Besuch in den USA, der den Ausschlag für die Gründung des Chemieunternehmens IG Farben gibt. 1903 reist Carl Duisberg, Direktor der Bayer AG, in die USA. Dort lernt er die sogenannten Trusts kennen, große Firmenzusammenschlüsse wie zum Beispiel Standard Oil. Die Trusts trugen dazu bei, den Wettbewerb zu reduzieren und die Kontrolle über ganze Industrien zu zentralisieren.
IG Farben: ein durch Fusion entstandener Industriegigant
Duisburgs Schlussfolgerung: So etwas muss im Deutschen Kaiserreich ebenfalls aufgebaut werden. 1904 entstehen so der "Zweibund" mit Höchst und den Cassella Farbwerken sowie der "Dreibund" mit Bayer, BASF und Agfa.
In diesen Bündnissen werden die gegenseitige Konkurrenz eingeschränkt und ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch vereinbart.
1916 schließen sich die Partner des Zwei- bzw. Dreibundes mit der Chemischen Fabrik vormals Weiler ter Meer zu einer Interessengemeinschaft zusammen. Sie wollen so den Enteignungen ihrer Auslandsniederlassungen in den Ländern der Weltkriegsgegner und dem Verlust von Patenten sowie Verträgen mit ausländischen Partnern entgegenwirken.
Nach dem Ersten Weltkrieg liegt die chemische Industrie am Boden – wie auch andere Wirtschaftszweige. Der wirtschaftliche Aufschwung beginnt erst Mitte der 1920er-Jahre, nachdem eine annehmbare Regelung für die Reparationszahlungen des Ersten Weltkriegs gefunden worden war. Die Zahlungen sind im Vertrag von Versailles festgelegt.
Die IG Farben und die Verbrechen im Nationalsozialismus
Im Frühjahr 1925 beginnen die Direktoren der Firmen, die seit 1916 in der Interessengemeinschaft zusammengeschlossen waren, über eine Fusion zu beraten.
Diese Verhandlungen sind Ende Oktober 1925 beendet: Am 2. Dezember 1925 wird die "IG (Interessengemeinschaft) Farbenindustrie Aktiengesellschaft" ins Leben gerufen. Es ist der Beginn eines Unternehmens, das einerseits weltweit erfolgreich agierte, andererseits aber über seine Beteiligung an der "Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung" (Degesch) in die Verbrechen der Shoah verstrickt war. Die Degesch lieferte in großen Mengen Zyklon B an die SS.
Ihr hört in Eine Stunde History:
- Der Historiker und Experte für die Geschichte der chemisch-pharmazeutischen Industrie Stephan Lindner schildert die Gründung der IG Farben im Dezember 1925.
- Der Historiker Florian Schmaltz vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam beschäftigt sich mit der Verflechtung der IG Farben mit der NSDAP und den politischen Eliten des NS-Staates.
- Der Rechtsanwalt Joachim Rumpf beschreibt den Prozess der Zerschlagung der IG Farben nach dem Zweiten Weltkrieg.
- Der Deutschlandfunk-Nova-Geschichtsexperte Dr. Matthias von Hellfeld blickt zurück auf die Vorläufer der IG Farben, die sich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen lassen.
- Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Esther Körfgen zeichnet die Entstehung des Chemieriesen seit dem Ersten Weltkrieg nach.
Info: Unser Bild oben zeigt das IG-Farben-Hochhaus, heute die Goethe-Universität, in Frankfurt am Main. In dem repräsentativen Bürogebäude war die Zentralverwaltung untergebracht. Das auch Poelzig-Bau genannte Gebäude wurde von Hans Poelzig entworfen und von 1928 bis 1931 erbaut. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog dort die amerikanische Militärverwaltung ein.
- Stephan Lindner, Historiker und Experte für die Geschichte der chemisch-pharmazeutischen Industrie
- Florian Schmaltz, Historiker am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung
- Joachim Rumpf, Rechtsanwalt
