Durch die AHA-Regeln der Coronavirus-Pandemie konnten sich Influenzaviren vergangenen Winter nur schwer ausbreiten. Trifft es uns dieses Jahr wieder schlimmer? Die Vermutung ist: ja. Dafür gibt es verschiedene Gründe.

Weltweit waren Menschen wohl noch nie so aufgeklärt, wenn es um den Schutz vor Viren geht - dank der Coronavirus-Pandemie. Jetzt sind viele geimpft, die Einschränkungen werden gelockert und das Coronavirus rückt auch in den Medien in den Hintergrund. Zeit für einen alten Bekannten: das Influenzavirus.

Denn der Winter steht vor der Tür und mit ihm die Frage, wie hart uns die Grippewelle dieses Jahr trifft. Mathias Pletz kann das besser beantworten, als die meisten von uns: Er ist Infektionsmediziner und Direktor der Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene an der Universität Jena. Auch er kann keine absolut sichere Antwort geben – aber zumindest eine fundierte Prognose.

Nach kleinen Wellen kommt meist eine große

Mathias Pletz erzählt, dass es bereits Ende des Jahres 2020 Modellierungen gab, wie die Influenzawelle ausfallen könnte, wenn die Wellen davor eine niedrige Aktivität hatten.

"Das hängt damit zusammen, dass die Immunität nach einer Influenzainfektion nicht lebenslang hält, da sich das Virus fortlaufend ändert."
Mathias Pletz, Direktor der Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene an der Universität Jena

Das Ergebnis: Wenn über mehrere Jahre leichtere Wellen auftreten, folgt eine stärkere. Denn wie beim Coronavirus verändern sich auch die Influenzaviren, der Körper ist nicht automatisch immun dagegen. Weil die Grippewelle 2020 ausgeblieben ist, ist auch die Immunität in der Bevölkerung gesunken, so die Annahme der Forschenden.

Wenn zusätzlich die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus fallengelassen werden, wie Maske aufsetzen und Abstand halten, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Jahr eine starke Influenzaphase auftritt.

Grippeimpfstoff wahrscheinlich nicht ganz passgenau

Zudem ist die Vorhersage der Weltgesundheitsorganisation, welche Influenzastämme zirkulieren werden, dieses Jahr ungenauer – und darauf basiert die Zusammensetzung der Grippe-Impfung. Allerdings gibt es Hinweise, auf welche Virenstämme geachtet werden muss, sagt Mathias Pletz: "Influenzaviren zirkulieren noch nicht in relevanter Menge, aber es gibt schon vereinzelt Nachweise – also ganz verschwunden ist das Virus nicht."

"Auch wenn das Virus und der Impfstoff nicht perfekt zusammenpassen, ist eine Immunantwort da, die sich vielleicht schneller im Falle einer Infektion umstellen kann."
Mathias Pletz, Direktor der Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene an der Universität Jena

Zudem wird seit der starken Grippewelle 2018 ein Vierfachimpfstoff empfohlen. Dieser Impfstoff sei "breiter aufgestellt" erklärt Mathias Pletz. Außerdem helfe auch eine nicht ganz passende Impfung, das Immunsystem vorzubereiten. Ein perfekter Schutz sei es jedoch nicht.

Ausbreitung der Grippeviren abhängig von Verhalten der Menschen

Auch Mathias Pletz ist sich nicht komplett sicher bei seinen Prognosen. Denn es gebe verschiedene Faktoren, die vom Verhalten der Menschen abhingen: Wie viele sich zum Beispiel impfen lassen. Auch das individuelle Verhalten, also ob man zum Beispiel Abstand hält und Maske trägt, sei entscheidend.

Wenn zum Beispiel aufgrund einer verschärften Corona-Pandemie die AHA-Regeln wieder greifen, fällt wahrscheinlich auch die Influenzawelle schwächer aus.

"Der wesentliche Faktor, der wahrscheinlich die Entscheidung darüber bringt, ob es eine starke Influenza-Saison gibt oder nicht, ist das Verhalten der Menschen."
Mathias Pletz, Direktor der Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene an der Universität Jena

Dass Influenza- oder Coronaviren mal verschwinden, ähnlich wie die Pockenviren, das hält Mathias Pletz für sehr unwahrscheinlich. Denn diese Viren verfügen über ein "tierisches Reservoir", sie infizieren also Tiere und Menschen und sind somit schwer einzudämmen. Nach der Grippewelle ist also vor der Grippewelle.

Shownotes
Influenzaviren
Diesen Winter könnte es eine Grippewelle geben
vom 15. Oktober 2021
Moderation: 
Tina Howard
Gesprächspartner: 
Mathias Pletz, Direktor der Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene an der Universität Jena