Corona, Proteste, Klimawandel, Kriege, Terror, Katastrophen… All diese bad news hinterlassen bei uns Stress, Angst und Hoffnungslosigkeit. Doch der Menschheit geht es so gut wie nie zuvor, sagt Neurowissenschaftlerin Maren Urner. Der Negativfokus der Berichterstattung hinterlasse allerdings ein negatives Weltbild. Sie fordert einen konstruktiven Journalismus: "Schluss mit dem täglichen Weltuntergang".

Wie wir Menschen die Informationen verarbeiten, die unsere Umgebung uns anbietet und mit denen wir manchmal regelrecht zugeballert werden, dafür hat sich Maren Urner schon immer interessiert – vor allem für die Kernfrage, warum wir alle ein und die selbe Welt ein bisschen (oder auch gravierend) anders sehen.

"Warum sehen wir die Welt alle anders, obwohl wir doch alle dieses Gehirn da obendrin haben?"
Maren Urner, Neurowissenschaftlerin und Medienpsychologin

Manchmal ist das erschreckend: Da sitzen wir beispielsweise nebeneinander und reden über dasselbe Thema, interpretieren die Zusammenhänge aber völlig unterschiedlich und ziehen komplett andere Rückschlüsse.

Wir können die Welt aber auch nicht alle gleich sehen – ganz einfach deswegen, weil jeder Mensch unterschiedlich tickt, sagt Maren Urner, Kognitions- und Neurowissenschaftlerin und Professorin für Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln.

Wir ticken alle anders

Wenn wir uns diese zentrale Erkenntnis alle bewusst machen würden, würde auch unsere Kommunikation – und auch der Journalismus – ehrlicher und besser funktionieren, glaubt sie.

Ein Beispiel: Die Aussage "Hey Leute, diese Welt ist bunt!" könnten sehr viele von uns treffen - trotzdem sehen wir die Farben alle ein bisschen anders. Oder: Die eine Person versteht den Begriff "Freiheit" anders als die andere.

"Intellektuelle Demut" anerkennen

Journalistinnen und Journalisten produzieren Inhalte für völlig heterogene Zielgruppen, von denen sie grob annehmen, eine Idee haben zu können, was diese Menschen vielleicht beschäftigen könnte. Unter dem Strich haben sie aber nicht wirklich eine Ahnung, für wen sie da Inhalte produzieren und wie diese wahrgenommen werden – auch, wenn sie vielleicht eine sehr konkrete Idee davon haben, wie die Inhalte wahrgenommen werden sollten.

Medienhäusern, Radiosendern und Fernsehstationen empfiehlt Maren Urner, diese sogenannte "intellektuelle Demut" anzuerkennen und ihre Mitarbeitenden für die individuelle Informationsverarbeitung des Publikums zu sensibilisieren.

"Die Sender – oder ganz allgemein die Menschen, die Informationen in die Welt bringen – sollten eine 'intellektuelle Demut' anerkennen."
Maren Urner, Neurowissenschaftlerin und Medienpsychologin

Der Konsum schlechter Nachrichten stresst Hirn und Körper, ist sich die Wissenschaftlerin sicher. Eine Stressreaktion sei zwar eigentlich gut und ein natürlicher Schutzreflex, um zu überleben. Nur lebten wir eben nicht mehr in Höhlen und müssen nicht vor wilden Tieren flüchten, brauchen diesen Stressimpuls also nicht mehr in der Form wie einst.

Digitale Dauerbeschallung

In Form der digitalen Dauerbeschallung so Maren Urner, ist Bedrohung und damit auch der Stress chronisch geworden. Diese Belastung für unser sensibles Gehirn und unseren gesamten Körper fördere sämtliche Zivilisationskrankheiten.

Um etwas gegen diese Entwicklung zu tun, gründete sie 2016 das Online-Magazin "Perspective Daily" für Konstruktiven Journalismus mit. Die Artikel dort wollen sich auf Lösungen fokussieren, nicht auf Probleme, so die Idee. 2019 erschien Maren Urners Buch "Schluss mit dem täglichen Weltuntergang".

Das ganze Gespräch mit Maren Urner könnt ihr euch anhören, wenn ihr oben auf den Playbutton klickt.

Shownotes
Neurowissenschaft
Maren Urner: Schluss mit schlechten Nachrichten
vom 29. November 2020
Moderation: 
Sebastian Sonntag
Gesprächspartnerin: 
Maren Urner, Neurowissenschaftlerin und Medienpsychologin