Suchmaschinenergebnisse und Archive erinnern auch Jahrzehnte nach der Tat mit vollem Namen an Täter. Das kann in seine Persönlichkeitsrechte eingreifen, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Ein Jurist ordnet das Urteil ein.

Täter können auch nach schweren Straftaten ein Recht auf Vergessenwerden haben. Presseverlage deswegen dazu verpflichtet sein, die zeitlich unbegrenzte Verbreitung von Artikeln mitsamt der konkreten Namensnennung des Straftäters zu verhindern oder die Verbreitungsreichweite zu reduzieren. Das entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am 27.11.2019 veröffentlichten Beschluss (Az. 1 BvR 16/13) zum sogenannten Apollonia-Mord im Jahr 1982. Voraussetzung ist, dass sich der Täter an den Verlag wendet.

Das Gericht gab der Verfassungsbeschwerde eines im Jahr 1982 wegen Mordes verurteilten Manns statt. Der Täter wird namentlich in online verfügbaren Artikeln genannt. Er hatte gegen das Magazin "Der Spiegel" geklagt.

Zurück zum Bundesgerichtshof

Das Gericht mahnte nun eine Abwägung zwischen Persönlichkeitsrechten und der Pressefreiheit an. Der Jurist Stephan Dirks erklärt, zwischen dem öffentlichen Interesse an einer Tat und dem Interesse des Täters daran, in Ruhe gelassen zu werden, müsse in Zukunft abgewogen werden. Eine besondere Rolle spielt dabei, wie lange die Tat zurückliegt. Konkret bedeute das für den klagenden Apollonia-Mörder nur, dass seine Sache erneut vor dem Bundesgerichtshof verhandelt wird, sagt Stephan Dirks.

"Es geht eigentlich um die digitale Resozialisierung, die auch ein Straftäter nach verbüßter Strafe irgendwann haben soll."
Stephan Dirks, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht

Erstmals berücksichtigte ein Gericht die Situation, die durch die Abrufbarkeit von Suchergebnissen gegeben ist. In der Begründung heißt es dazu wörtlich: Die Belastung der Betroffenen hänge auch daran, wieweit eine Information im Netz tatsächlich breitenwirksam gestreut, etwa wieweit sie von Suchmaschinen prioritär kommuniziert werde.

Zeitraum ist Verhandlungssache

Praktisch betrifft das die Auffindbarkeit personenbezogener Daten in Suchmaschinen. Einen konkreten Zeitraum, nach dem ein Täter einen Lösch- oder Anspruch aufs Zurückstellen bestimmter Informationen in Ergebnislisten hat, nennt das Gericht nicht. Stephan Dirks hält eine zeitliche Distanz zum Ereignis von zehn bis 15 Jahren für vorstellbar.

"10 bis 15 Jahre ist wahrscheinlich ein Zeitraum, bei dem in vielen Fällen gesagt werden muss, hier überwiegt das Recht des Täters, in Ruhe gelassen zu werden."
Stephan Dirks, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht

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Shownotes
Urteil: Pressefreiheit und Recht auf Vergessen
Jurist: "Es geht um die digitale Resozialisierung"
vom 27. November 2019
Moderatorin: 
Sonja Meschkat
Gesprächspartner: 
Stephan Dirks, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht