Warum kommen Marokkaner nach Deutschland? Sie müsse doch nicht vor Krieg fliehen? Warum haben sie in der Kölner Silvesternacht 2015 Frauen angegriffen? Solche fragen werden Elisabeth Lehmann gestellt, weil sie mit einem Marokkaner zusammen ist.
Dass Elisabeths Freund bereits seit 20 Jahren in Deutschland lebt und einen deutschen Pass hat, scheint seit der Kölner Silvesternacht 2015 in der Hintergrund zu rücken. Jetzt sehen die Menschen in ihm zu allererst den Marokkaner, den Nordafrikaner.
Elisabeth wird seit den Ereignissen in Köln ständig gefragt, warum die Männer die Frauen angegriffen haben, ob das Verhalten mit ihrer Religion zusammenhinge, ob in Marokko Frauen auch ständig Übergriffen ausgesetzt seien und warum so viele Marokkaner nach Deutschland kämen, obwohl in ihrem Land doch gar kein Krieg herrsche.
Ohne Chancen geboren
Nur weil ihr Freund aus Marokko stammt, kann sie all diese Frage nicht beantworten. Selbst war sie aber erst vor kurzem in Marokko und hat den Slum am Rande Casablancas besucht - Sidi Moumen. "500.000 Menschen leben dort quasi auf einer Müllkippe", sagt Elisabeth. Es gibt Sozialwohnungen, doch viele können sich nicht einmal diese leiste und leben in Wellblechhütten ohne Strom und Wasser. Es ist dreckig, der Boden ist schmierig, Esel stehen herum und essen Müll und schimmeliges Brot.
"Wer hier geboren wird, haben sie mir erzählt, der hat keine Chance im Leben, der bekommt keinen ordentlichen Job, keine Wohnung - einfach weil in seinem Ausweis Sidi Moumen als Geburtsort steht."
Viele der mutmaßlichen Täter, die auf dem Bahnhofsvorplatz in Köln Frauen belästigt, vergewaltigt und bestohlen haben, kommen aus Casablanca. Für die Menschen in Casablanca ist das immer noch ein großes Thema. In einem Kulturzentrum in Sidi Moumen hat die Journalistin Abdeslam getroffen. Er hatte sich wie viele andere junge Marokkaner hoffnungsvoll auf den Weg nach Deutschland gemacht, als sie gehört hatten, dass die Grenzen offen seien. Bis nach Frankfurt sei er gekommen. Die Kölner Silvesternacht 2015 hat für ihn selbst direkt negative Folgen, denn durch das Verhalten seiner Landsleute stünden jetzt alle unter Generalverdacht:
"Du kannst nicht mal normal mit Frauen reden, weil du Marokkaner bist. Sie denken, der ist Marokkaner, der will mich beklauen, der will mich verarschen. Als käme ich von einem anderen Planeten."
Und auch Elisabeths Freund bekommt diese feindliche Stimmung zu spüren. Anfang des Jahres wollte er in ein Berliner Einkaufszentrum gehen und wurde von einem Wachmann aufgehalten. Er muss sich ständig als Marokkaner rechtfertigen, teilweise wird er geradezu dazu genötigt, sich von den Vorfällen in Köln zu distanzieren, beschreibt Elisabeth die Situation ihres Freundes. Sie spürt, dass es die Menschen in ihrem Umfeld beschäftigt, dass ihr Freund Marokkaner ist - auch dumme Witze bleiben nicht aus.
Mehr über die Kölner Silvesternacht 2015:
- "Da ist noch ganz viel, was wir nicht wissen." | Gespräch mit Katrin Ohlendorf über die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht