Seit drei Wochen ist für Lisa alles anders. Zwar lebt die gebürtige Ukrainierin seit einigen Jahren in Deutschland – ihre Familie aber lebt circa vier Stunden von Donezk entfernt, in Dnipro. Seit Beginn des Angriffskrieges lebt sie in ständiger Sorge und Ungewissheit.
Eigentlich wollte Lisa diesen März ihre Familie in der Ostukraine besuchen, stattdessen sorgt sie sich nun jeden Tag um sie. Ihre Großeltern und ihre Eltern sind trotz des Krieges in ihrer Heimat geblieben - und wollen das auch, solange es geht, erzählt Lisa.
"Meine Familie ist voller Panik, denn sie wollen nicht weg aus der Stadt, in der sie ihr Leben lang gelebt haben."
Denn dort haben sie ihre Freunde, ihr Leben, ihre Arbeit und ihre Häuser. Ihre Stadt verlassen wollen sie erst, wenn es gar nicht mehr anders geht. Lisa befürchtet, dass das erst der Fall ist, wenn klar ist, dass die Stadt völlig zerstört werden soll. Bisher gab es in ihrer Heimatstadt zwei Bombardierungen.
Routinen trotz Krieg
Noch versucht Lisas Familie ihr bisheriges Leben so gut es geht aufrechtzuerhalten. Ihr Großvater hat bis vor kurzem noch am Flughafen gearbeitet. Doch Lisa hat ihn gleich zu Beginn des Angriffskrieges gebeten, zu kündigen, aus Angst, dass der Flughafen das erste Ziel von Bombardierungen sein könnte.
Ihre Eltern gehen manchmal zur Arbeit. Es besteht in der Ukraine zwar nicht mehr die Pflicht dazu, doch Lisa sagt, es gebe ihren Eltern das Gefühl, dass es noch einen Alltag neben dem Krieg gibt. Sie suchen den Kontakt zu anderen Menschen und versuchen, nicht zu deprimiert zu werden.
"Die Lebensmittelversorgung in Dnipro ist zum Glück noch gut, doch die Leute kaufen viele Vorräte. Sie haben Angst, dass sie morgen schon kein Leitungswasser oder ähnliches haben könnten."
Noch ist es in Lisas Heimatstadt so, dass nicht nur die Bewohner mit Lebensmittel versorgt werden können, sondern auch andere Städte und Binnen-Flüchtende. Zu wissen, dass ihre Familie noch Wasser und Lebensmittel hat, beruhigt Lisa etwas. In den Großstädten Mariupol oder Charkiw gebe es teilweise schon kein Leitungswasser mehr – eine Katastrophe, sagt Lisa.
"Mir geht es nach wie vor schlecht. Mir musste erst einmal klar werden, dass der Krieg nicht in einer parallelen Welt stattfindet, sondern in der Welt, in der ich lebe."
Lisa erzählt, dass es ihr nach wie vor schlecht geht. Vor allem in den ersten Wochen sei es katastrophal gewesen: Sie war deprimiert, hilflos und verzweifelt. Sie hatte das Gefühl, aus der Ferne nicht viel ausrichten zu können.
Mit der Zeit hat sie ihre Kräfte etwas sammeln können, sagt sie. Lisa hat begonnen, Spenden zu sammeln, Kontakte für die Lieferung zu suchen und Geflüchteten zu helfen, eine Unterkunft zu finden.
Es wird viel getan, um zu helfen
Lisas Eindruck ist: Nicht nur in ihrem Bekanntenkreis, sondern in der gesamten Gesellschaft, in Deutschland und anderswo wird viel dafür getan, den ukrainischen Flüchtenden zu helfen. Lisa ist froh, mit ihren Sprachkenntnissen die Flüchtenden in ihrer schwierigen und stressigen Situation unterstützen zu können.
"Zu wissen, dass die Flüchtenden in Deutschland und anderswo so viel Hilfe bekommen, gibt auch meiner Familie und den Menschen in der Ukraine Kraft."
Für Lisa sind es oft Kleinigkeiten, etwa den Weg zum Zug zu beschreiben, doch dafür sind die Menschen ihr sehr dankbar. Daraus kann Lisa zurzeit etwas Kraft schöpfen. Doch die Situation zehrt weiter an ihr: Sie berichtet davon, dass ihr ganzer Körper schmerzt und sie müde und angestrengt ist.
Die Nachrichten belasten sie sehr – sie sagt, dass sie in ihrem Leben noch nie in einem psychisch so schlechten Zustand war wie jetzt. Wichtig ist ihr deshalb, sich nicht nur therapeutische Hilfe zu holen, sondern in Kontakt mit anderen Helfenden zu sein und auf Demonstrationen zu gehen.