"Ein simpler Eingriff" von Yael Inokai wurde für den Deutschen Buchpreis 2022 nominiert. Der Roman um Krankenschwester Meret macht viele Türen auf. Sie führen in eine Welt, in der Frauen stören, in der Männer bestimmen, und in der Gefühle instrumentalisiert werden.

Und du, wer hat dir das Herz gebrochen? Als Meret das zum ersten Mal über Sarah denkt, da kennt sie sie noch gar nicht. Die beiden sind
Zimmernachbarinnen in einem Wohnheim für Krankenschwestern. Sie
arbeiten in derselben Klinik, aber auf verschiedenen Stationen und zu
unterschiedlichen Zeiten. Wenn die eine schläft, arbeitet die andere.

Meret hat ein Gespür für die Gefühle der anderen

Und doch wusste Meret von der ersten Begegnung an, dass Sarah da was mit sich herumschleppt. Etwas, das wehtut. Meret hat ein Gespür für die Gefühle anderer. Dieses Gespür hat Vor- und Nachteile in ihrem Beruf. Einerseits braucht sie oftmals nur wenige Momente, um den Zustand einer Patientin zu erfassen, und kann dann unmittelbar darauf reagieren. Andererseits hat sie keine Zeit. Die Pflege der Patientinnen ist minutengenau getaktet und die älteren Schwestern sehen es nicht
gern, wenn man von diesem Zeitplan abweicht.

Aber: War Meret nicht wegen eben dieser Fähigkeit, Empathie aufzubringen, an ihre neue Stelle auf Station fünf gekommen? Saß sie nicht genau deswegen regelmäßig beim Doktor im Büro, trank Kaffee oder Tee und diskutierte mit ihm über die Patientinnen und über die neue Behandlungsmethode?

Externer Inhalt

Hier geht es zu einem externen Inhalt eines Anbieters wie Twitter, Facebook, Instagram o.ä. Wenn Ihr diesen Inhalt ladet, werden personenbezogene Daten an diese Plattform und eventuell weitere Dritte übertragen. Mehr Informationen findet Ihr in unseren  Datenschutzbestimmungen.

Jetzt, Wochen später, sitzt Meret Sarah gegenüber, noch leicht verschwitzt von einer gemeinsamen Fahrradtour und verliebt bis zum Umfallen. Und eigentlich könnte alles genau so bleiben. Aber dann sieht sie Sarah in die Augen und fragt sie endlich, wer ihr das Herz gebrochen hat. Und vielleicht bereut sie es schon in der Sekunde, in der sie gefragt hat. Aber die Frage ist raus. Meret muss mit der Antwort leben. Das, was Sarah ihr erzählt, das will Meret nicht hören. Denn es hat mit ihr zu tun, mit ihrer Arbeit und mit dem, was sie mit dem Doktor tut.

Meret hilft - bis ihr ein verzweifelter Gedanke kommt

Meret assistiert ihm bei den Operationen, die am Gehirn und bei vollem
Bewusstsein der Patientinnen durchgeführt werden. Sie spricht währenddessen mit ihnen. Meret spielt mit ihnen Karten. Sie beruhigt sie und räumt ihre Zweifel aus. Sie ist überzeugt: den Frauen geht es nach dem simplen Eingriff besser. Sie sind dann viel ruhiger, befreit von dem, was diese Frauen unkontrollierbar gemacht hat, und somit glücklicher.

Als Meret Sarah kennenlernt, und sich die beiden Frauen ineinander
verlieben, da ändert sich Merets Denken über ihre Arbeit. Nicht von einem Tag auf den anderen, aber Meret spürt schon bald, dass etwas nicht zusammenpasst, dass sie sich vielleicht irrt. Ist es möglich, dass sie nicht den Frauen hilft, sondern allein dem Doktor, weil er die Frauen gar nicht heilt, sondern ruhig stellt, damit sie nicht stören?

Das Buch: "Ein simpler Eingriff" von Yael Inokai, Hanser Berlin, 187 Seiten, gebundene Ausgabe: 22 Euro, E-Book: 16,99 Euro, ET: 14.02.2022

Shownotes
Das perfekte Buch für den Moment...
...wenn du spürst, dass du dich irrst
vom 02. Oktober 2022
Autorin: 
Lydia Herms