In "Schildkrötentage" von Sophie Reyer wird Flora zu einer Art Schildkröte: Sie legt sich einen dicken Panzer zu, in den sie sich verkriechen kann.
Flora besucht Heike, ihre beste Freundin. Sie will ein bisschen mit ihr reden. Flora hat nämlich zwei Probleme. Eins im Gesicht. Und eins im Rücken. Im Gesicht ist eine Falte, tief und unübersehbar. Und der Rücken tut weh. Immer härter wird der, als wüchse da ein Panzer.
Dass Heikes Mann Psychotherapeut ist, trifft sich da ganz gut. Mit einem von beiden wird es schon klappen, dieses Reden. Aber es klappt so gar nicht. Kein Wort kriegt Flora über die Lippen. Und wozu auch? Nein, sie hätten ihr ohnehin nicht geglaubt, denkt Flora, als sie die Wohnung ihrer Freunde verlässt. Sie hätten ihr niemals geglaubt, dass sie sich gerade in eine Schildkröte verwandelt.
Schon als Kind hat Flora gern Höhlen gebaut, aus Kissen, Decken, Spielsachen. Stundenlang konnte sie darin verschwinden. Schon immer mochte sie die Dinosaurierfiguren aus Plastik lieber, als Puppen, die man wiegen und füttern kann. Dinosaurier ähneln ihren Lieblingstieren: Schildkröten. Sie hat sich eine gewünscht, aber die Mutter war dagegen.
Da findet Flora einen Brief vor ihrer Tür - mit kugeliger Schrift, die ein bisschen an die eines Grundschülers erinnert. Da steht:
"Hallo. Ich bin dein neuer Nachbar. Semir"
Semirwer? Ein Kind? Ein Stalker?
Am nächsten Tag steht plötzlich ein kleiner, kompakter Mann mit schwarz-grauen Haaren, die in alle Richtungen wachsen, vor Floras Tür. Er sei Semir, der neue Nachbar und er brauche einen Hammer. Flora hat keinen Hammer. Und eigentlich auch keine Lust auf Besuch. Aber sie wird das Gefühl nicht los, dass es kein Zufall ist, dass dieser Semir ausgerechnet jetzt auftaucht. Ob er Schildkröten mag?