Wer darf und wer sollte das Gedicht einer schwarzen Us-Amerikanerin übersetzten? Diese Debatte wird gerade sehr kontrovers bei der Übersetzung des Gedichts "The Hill we Climb" der Poetin Amanda Gorman geführt und wirft viele grundsätzliche Fragen auf.

Seit Amanda Gorman bei der Amtseinführung des neuen Us-Präsidenten Joe Biden ihr Gedicht "The Hill we Climb" vorgetragen hatte, ist die Dichterin weltweit bekannt. Ihr Gedicht wird seitdem in alle möglichen Sprachen übersetzt. Doch dabei ist es jetzt schon zum zweiten Mal zu einer großen Diskussion um die Auswahl der Übersetzerin oder des Übersetzers gekommen.

Erst vor ein paar Tagen gab die niederländische Übersetzerin Marieke Lucas Rijneveld freiwillig den Übersetzungsauftrag ab, als eine Journalistin der Volkskrant fand, dass eine weiße Übersetzerin nicht passe und man besser eine junge, schwarze Frau beauftragen sollte.

Nun gab es einen ähnlichen Fall mit dem katalanischen Übersetzer Victor Obiols. Der Fall wirft viele Fragen über den Beruf von Übersetzerinnen und Übersetzern auf, denn eigentlich gehöre es ja genau zu der Jobbeschreibung, dass sie sich in fremde Welten hineinversetzen könnten, sagt Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Grit Eggerichs.

"Die Arbeit einer Übersetzerin ist es ja gerade, sich in fremde Welten hineinzuversetzen. Das gehört zur Berufsbeschreibung."
Grit Eggerichs, Deutschlandfunk-Nova-Reporterin

Abgelehnte Übersetzung

Der Übersetzer Victor Obiols wurde vom Verlag Univers mit der Übersetzung beauftragt. Die Agentur oder der Verlag von Amanda Gorman, hier sind sich die Berichte über den Fall bisher uneinig, teilte dann dem katalanischen Verlag mit, dass sie die Auswahl des "weißen, alten" Übersetzers unpassend fänden und baten um eine passendere Wahl.

Daraufhin teilte der Verlag dem Übersetzer Victor Obiols mit, dass er zwar eine sehr gute Arbeit abgeliefert habe und dafür auch bezahlt werde, die Übersetzung könne allerdings nicht genommen werden, weil er nicht ins Profil passe. Victor Obiols zeigte sich darüber auf Twitter sehr enttäuscht und wütend. Mittlerweile hat er seine Tweets aber wieder gelöscht und fordert eine tiefere Diskussion zu dieser komplexen Thematik.

Was eine aussagekräftige Übersetzung ausmacht

Der Verlag sucht nun stattdessen nach einer jungen, schwarzen Übersetzerin, die im besten Falle noch Aktivistin ist und mit der katalanischen Kultur vertraut sein sollte.

Die große Frage in der Debatte ist laut Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Grit Eggerichs, wer überhaupt darüber entscheide und beurteilen könne, was eine literarisch und politisch überzeugende Übersetzung ausmache. Und inwiefern das mit der Hautfarbe oder dem kulturellen Hintergrund zusammenhänge und nicht mit unabhängigen Übersetzungsskills.

"Die Frage wäre dann, ob das wirklich was mit ihrer Hautfarbe oder ihrem kulturellen Hintergrund zu tun hätte. Und ob es bei Übersetzungen nicht viel mehr um davon unabhängige Skills geht, wie Einfühlung oder literarisches Gespür."
Grit Eggerichs, Deutschlandfunk-Nova-Reporterin

Ein Statement von Amanda Gorman zu der Debatte gibt es bisher nicht. Im niederländischen Fall hatte die Poetin ihre Übersetzerin aber selbst ausgesucht, da Marieke Lucas Rijneveld Gedichte schreibt, die dem Stil von Amanda Gorman ähneln.

Shownotes
Literatur und Rassismus
Amanda Gorman und die Debatte um die richtige Übersetzung
vom 11. März 2021
Moderator: 
Paulus Müller
Gesprächspartnerin: 
Grit Eggerichs, Deutschlandfunk Nova